Steven K., Bushido ehemals bester Kumpel

Berlin – Irgendwann kamen abends Anis und Anna-Maria Ferchichi mit einer braunen Nike-Plastiktüte voller 500er-Scheine zu Steven K. und seiner Freundin. Sie sagten: „Kannst du uns helfen, das Geld zu zählen?“ K. hatte noch nie so viel Geld auf einmal gesehen. Anis Ferchichi erklärte ihm, das sei Schwarzgeld unter anderem von Konzerten. 40.000 Euro pro Konzert. „Ich dachte damals“, sagt Steven K., „das ist ja mehr als ich im ganzen Jahr verdiene.“ Beeindruckt habe ihn das alles. Zwei Stunden lang haben sie gezählt, in einem Mehrzweckkeller in einem Mietshaus. Viermal kamen sie auf die Zahl von 975.000 Euro. Dann hat Anis ein Bündel Scheine herausgenommen. Davon sollten wohl Autos gekauft werden. Die Plastiktüte wurde dann im Keller abgestellt.

Diese Welt von Drogen, Versicherungsbetrug, Prostitution und Schwarzgeld im Keller – das ist keine Netflix-Serie über Geldwäsche wie „Ozark“, sondern das war Alltag für Steven K., der zwischen 2015 und 2017 zum Freundeskreis von Bushido gehörte. Das ist jener berühmte Deutsch-Rapper, der bürgerlich Anis Ferchichi heißt und seit eineinhalb Jahren Nebenkläger in einem Prozess am Berliner Landgericht ist gegen vier Brüder aus der Abou-Chaker-Familie. Der mutmaßliche Bandenchef Arafat Abou-Chaker war zwischen 2004 und 2018 Bushidos bester Freund und Manager. Als diese Freundschaft aber endete, sollen die vier Brüder den Rapper geschlagen, beleidigt, genötigt, bedroht und eingesperrt haben.

Bushido allerdings hat an 23 Prozesstagen ausgesagt über diese Freundschaft, die sich für ihn wie eine „Zwangsehe“ anfühlte und ab dem Januar 2018 lebensbedrohlich erschien. Vor Gericht hat er geweint und auch von der Todesangst gesprochen, die er um seine Familie hatte. Immerhin lebt Bushido seit der Trennung von Arafat unter Polizeischutz, tritt auch vor Gericht im Sicherheitssaal in Moabit immer begleitet von vermummten Beamten auf. Abou-Chakers Verteidigung hat immer wieder deutlich gemacht, dass sie dieser Darstellung widerspricht. Bisher aber schweigen sie zu den Vorwürfen.

Der erste Zeuge, den die Verteidigung am Mittwoch in den Zeugenstand ruft, ist nun Steven K. Der 37-Jährige soll zeigen, wie es ist, mit Bushido befreundet zu sein. Er war 2015 Stammkunde in Bushidos Zierfisch-Geschäft am Hindenburgdamm, „Into the Blue“. Über die Fische haben sich beide dann angefreundet, sie gingen zusammen angeln, und als sich dann ihre beiden Freundinnen auch verstanden, wurden sie alle gute Freunde.

Fast den ganzen Tag habe sich Steven K. um die Belange seines neuen besten Freundes gekümmert, über Jahre. Das ist schon deshalb interessant, weil Bushido häufiger gesagt hat, dass er „keine Freunde habe“, mit denen er Probleme, wie die mit Arafat, besprechen könne.

Steven K. kommt am Mittwoch in einem Pullover, auf dem „Fish Buddy“ steht. Schon in der ersten Stunde im Zeugenstand sagt oder ruft er einen Satz über Bushido, der der Verteidigung sehr gefallen muss: „Er ist ein Schauspieler!“ Als Beispiel führt K. eine Flugreise an, eine der vielen Reisen, die er mit Bushido gemacht hat: Malediven, Kanada, New York. Sie seien zwar Business Class geflogen, aber kurz nach der Landung habe Anis Ferchichi am Telefon seine Frau Anna-Maria angerufen und sich beschwert, dass wegen der Economy Class sein Nacken ganz verspannt sei. „Sie hat ihn dann drei Stunden massiert“, sagt K. Er habe auch miterlebt, wie Bushido seine Frau betrogen habe auf diesen Reisen, mindestens einmal mit einer Prostituierten. „Ich habe dann unten an der Hotelbar gewartet, weil wir uns ein Zimmer geteilt hatten.“

Diese Art von Freundschaft wird in einer amerikanischen TV-Serie dargestellt, die in den frühen 2000ern bekannt war: Entourage. Sie erzählt vom Schauspieler Vincent, der aus New York kommt und sich in Hollywood erst zurecht finden muss. Dabei helfen ihm Freunde, die immer da sind, mit ihm Zeit verbringen, ihn an Termine erinnern, ihn beraten bei Rollen — und finanziell von ihm abhängig sind. Inspiriert war sie vom Leben des Schauspielers Mark Wahlberg, der auch der Produzent dieser Serie war. Sie erzählt auch von den Problemen, wenn Geld sich mit Freundschaft vermischt, wenn die Entourage plötzlich Zeit ohne den Star verbringen will.

Steven K. hatte genau diese Probleme, aber er erlebte auch eine rauschende Dauerparty: Die ersten Jahre zumindest, so sagt es Steven K. im Zeugenstand, habe er durchaus profitiert. Er hat im Zierfischladen gearbeitet („Netto waren das 1300 Euro im Monat“). Zu Weihnachten 2015 hat er eine Rolex für rund 9000 Euro geschenkt bekommen („Das war immer ein Traum von mir“).

Er ist sogar in die Wohnung neben Bushido gezogen, auch wenn diese dann nicht mietfrei war, wie es ihm versprochen worden war. Häufig trafen sie sich abends dort zum „Stammtisch bei K.“, wie sie diese Abende nannten, zusammen mit anderen Rappern wie zum Beispiel Samra. Sie spielten Brettspiele, schauten YouTube-Videos und rauchten Joints. „Anis hat nie mitgeraucht, aber er hat sie immer gern gedreht.“ Wenn K. aber mal keine Lust auf Gäste hatte, sagte Bushido: „Ach komm, du schaffst das schon.“

Steven K. erzählt im Zeugenstand all diese Details mit Wut im Bauch. Nichts mehr wolle er mit den Ferchichis zu tun haben. Dazu hat auch beigetragen, dass er immer mehr von den Schattenseiten der Welt des Rappers mitbekam. Als Anis Ferchichi 2016 wegen Versicherungsbetrugs in Höhe von 360.000 Euro angeklagt wurde, sollte K. für den Freund aussagen, das heißt: lügen. K. tat ihm den Gefallen, weil der Rapper ihm im Gegenzug versprach, dessen Schulden von 14.000 Euro für die Beerdigung des Vaters zu bezahlen. Er tat das jedoch nie. Dafür habe sich Arafat Abou-Chaker immer um seine Probleme gekümmert. Ist deshalb seine Erinnerung an den Bandenchef letztlich so freundlich?

Zum eigentlichen Verfahren – der Freundschaft zwischen Abou-Chaker und Bushido – kann K. nur wenig sagen. Er war zwar oft dabei, wenn sie sich stritten, auch im Spätsommer 2017, als es um den Zaun auf dem gemeinsamen Grundstück in Kleinmachnow ging. Doch K. hielt sich stets zurück, hörte sich den Streit nur an, ergriff nicht Partei. Dass es auch gefährlich werden konnte, hatte er kurz zuvor erfahren. Im Mai 2017 hatte ihm Bushido vorgeworfen, Geld aus der Kasse des Zierfischladens genommen zu haben. Bushido habe ihn gewarnt: „Wenn ich das Arafat sage, bricht er dir die Knochen.“ K. schwor, dass er kein Geld gestohlen habe, doch zur Sicherheit versuchte er, es bei seiner Familie zu leihen. Bei der Erinnerung an diese Krise verliert er vor Gericht noch einmal die Fassung. Zitternd trägt er vor, dass ihn diese ungerechte Beschuldigung sehr geschockt habe.

Kurz darauf wird der Zierfischladen geschlossen. Er habe ohnehin nicht genug Geld abgeworfen, Anis kam nur vorbei, um Anträge zu unterschreiben und World of Warcraft zu spielen. K. beschreibt ihn als „geldgeil“. Die Freundschaft zwischen beiden war deutlich abgekühlt, vorbei die Zeit, als sie im Hotel die Betten zusammenschoben, wie er erzählt. K. war am Ende zu einer Art Hausmeister und Mädchen für alles geworden: Holte die Kinder ab, baute Schaukeln auf, reparierte kaputte Lampen. Auf Reisen war er noch dabei, Bushido sagte ihm, er könne ihn „bei der Steuer absetzen“.

Das Ende der Freundschaft kam dann ganz abrupt am 23. Dezember 2017. Am Abend zuvor hatte Steven K.s Freundin nicht mit Bushidos Frau „feiern gehen“ wollen. Bushido rief ihn zu sich und sagte ihm, dass er ausziehen müsse. „Ich sei ihm zu teuer geworden“, ist ein Satz, den er noch weiß. Und: „Du kannst dich bei deiner Frau bedanken.“

Steven K. wohnte dann noch einen Monat in seiner Wohnung neben den Ferchichis. Er ließ meistens die Jalousien unten, ging nur auf die Straße, wenn es nötig war, versuchte den Kontakt zu vermeiden. Einmal aber, erzählt er, kam Anis Ferchichi gerade mit einem Auto herangefahren. Sie haben sich nicht mehr in die Augen gesehen, sondern Anis habe nur verächtlich zur Seite geblickt.

Steven K. hat sich wieder bei seinen alten Freunden gemeldet. Die hatte er lange Zeit vernachlässigt. Und er hat wieder ein geregeltes Einkommen. Er arbeitet jetzt bei der Berliner Stadtreinigung.

Die Endgegnerin

Berlin – Es ist vor dem EM-Achtelfinale, Deutschland ist noch nicht rausgeflogen, als der Verteidiger in Richtung Richterpult fragt: „Pfeifen Sie ab oder darf ich noch eine Frage stellen?“ Er darf und so geht es noch einmal an diesem heißen Sommertag um Anrufe und Chat-Nachrichten zwischen Bandenchef Arafat Abou-Chaker und Anna-Maria Ferchichi. Der Anwalt ihres Mannes Bushido gibt ihr deutlich zu verstehen, dass sie gar nichts sagen müsse. Aber sie beschwichtigt: „Nein, ich kann etwas dazu sagen, kein Problem!“ Dann legt sie los: dass Arafat nicht „100 Prozent Schuld“ an ihrer Trennung habe („eher 80 Prozent“), dass ihr Mann in jener Zeit eben ein „Riesenarschloch“ gewesen sei und Arafat ein „totaler Kontrollfreak“ – und am Ende der Aussage kommt noch dieser Satz, etwas überraschend: „Mein Mann und ich hatten auch Sex, wenn wir uns gestritten haben.“

Das hatte gar niemand so genau wissen wollen, und an dieser Stelle pfeift der Vorsitzende Richter Martin Mrosk dann doch ab. Ein weiterer Tag in diesem seltsamen, wunderbaren und irgendwie historischen Prozess über das Ende einer Freundschaft, die vielleicht nie eine war. Seit zehn Monaten versucht die Berliner Justiz, Licht in eine Halbwelt aus Musik, Drogen, Macht und sehr viel Geld zu bringen. Rapper Bushido hat diese Welt nicht nur in seinen Liedern immer wieder besungen, sondern bis zu einem gewissen Grad gelebt. Immer dabei: sein Kumpel und Freund Arafat Abou-Chaker. 13 Jahre lang war er der Mann hinter Bushido, begleitete ihn auf Tour, bestimmte, wer zu ihm durfte und wer nicht. „Ari“, wie Bushido ihn damals nannte, beanspruchte dafür einen großen Anteil der Einnahmen für sich. Fast zehn Millionen Euro soll er über die Jahre von Bushido bekommen haben.

Als Anis „Bushido“ Ferchichi im Januar 2018 dieses Verhältnis beenden will, kommt es zu dem, was schließlich die Grundlage für diesen Prozess ist: Arafat und seine drei Brüder Nasser, Yasser und Rommel sollen den Sänger beleidigt, bedroht, bedrängt und geschlagen haben. Arafat gehört zur kriminellen Großfamilie der Abou-Chakers. Er habe um sein Leben und das seiner Familie gefürchtet und tue das bis heute, sagte er. Der Prozess gegen die vier Brüder findet unter Polizeischutz statt, jene Maßnahme, unter der auch sein Familienleben stattfindet seit der Trennung von Abou-Chaker. Arafat und seine Brüder verweigern ihre Aussage bisher. Bushido ist Nebenkläger in dem Fall und hat an 25 Prozesstagen gesprochen, geplant waren acht. Seit zwei Wochen spricht jetzt seine Frau, und wird das nach der nun folgenden Sommerpause weiter tun – wenn ihr Körper es erlaubt. Sie ist im fünften Monat schwanger, mit Drillingen.

Hatte der Prozess zuletzt an Fahrt verloren, entblättert sich im Laufe der vergangenen zwei Wochen im Saal 500 des Landgerichts Moabit an der Turmstraße einmal mehr ein Sittengemälde, ein dichter Einblick in diese toxische Dreiecksbeziehung zwischen Anis, Arafat und Anna-Maria. Das vierte Wort mit A, das unbedingt dazu gehört, ist „Angst“. Doch diese Frau geht in Begleitung des vermummten Polizeischutzes durch die Gänge des Hauses, ihre Turnschuhe sind schneeweiß, die Jeans eng, sie stellt ihre Wasserflasche auf den Tisch, nimmt ihren Mund-Nasen-Schutz ab und beantwortet selbstsicher jede Frage des Vorsitzenden Richters, der Staatsanwältin und die der Anwälte der Abou-Chakers. Außerdem kämpft sie an der Seite ihres Mannes auch außerhalb des Gerichtssaals. Denn im Jahr 2021 gibt es Videos auf Portalen wie Twitch und gibt es Chat-Nachrichten, die zehn Jahre später noch einmal ganz neu verhandelt werden.

Wie Anna-Maria Ferchichi Bushidos Leben betreten hat, ist in der Klatschpresse gut dokumentiert. Es ist die Nacht zum 2. Februar 2011, sie ist seit drei Monaten von Nationalspieler Mesut Özil getrennt, für den sie zum Islam übergetreten war. Ihr muslimischer Name lautet „Melek“, Engel. Sie wollte „keine Spielerfrau“ sein, sagte sie damals. Bei einer Promi-Nacht in Köln wird sie dabei beobachtet, wie sie kurz vor 3 Uhr morgens mit Bushido in dessen Hotel geht. Am nächsten Morgen stolpert sie auf die Straße, trägt noch das T-Shirt, das ihr der Rapper geliehen hat. Kurz darauf wird er sie anrufen und er wird „so niedlich klingen“, dass sie ihn wiedersehen will. Das sagt sie gegenüber RTL vor ein paar Tagen bei einer Homestory. Bei der Bambi-Verleihung 2011 bekommt Bushido den Integrations-Bambi, Anna-Maria steht mit ihm auf dem roten Teppich, ein halbes Jahr später ist sie schwanger. Hochzeit im Mai 2012.

Um diese Hochzeit geht es auch vor Gericht. „Arafat wollte uns verbieten, Alkohol an unsere Gäste auszuschenken“, sagt Anna-Maria Ferchichi. „Ich war ja damals auch schwanger, aber ich wollte meinen Gästen das Trinken nicht verbieten.“ Arafat habe schon damals begonnen, immer religiöser zu leben. Aber dass er ihr in die Planung der Hochzeit hineinreden wollte, empfand sie als übergriffig. „Mein Mann ist eigentlich sehr dominant“, sagt sie, „aber gegenüber Arafat war er sehr devot.“ Als sie Bushido sagte, dass sie Arafats Verhalten respektlos empfinde, war seine Antwort: „Mach keinen Stress.“ Auf die Frage, ob es Alkohol gab, sagt sie knapp, mit ein bisschen Triumph in der Stimme: „Es gab Alkohol.“ Auch in den Jahren danach habe Arafat immer wieder versucht ihr Leben zu kontrollieren. Wenn sie sich wehrte, nannte er sie „Hurentochter“ oder „Hure“. Anna-Maria: „Es war so lächerlich.“

Schon an solchen Bemerkungen in Richtung des Angeklagten Arafat wird klar, was Ferchichis Rolle ist. Sie fordert das von Arafat ein, was Arafat von Bushido einfordert, und Bushido von der ganzen Welt: Respekt. Je mehr die Ehefrau mitbekommt von der illegalen Welt, von der Gangsterrap nun einmal handelt, umso mehr musste Bushido beide Welten voreinander schützen. Er selbst kannte die Grundregel: „Keine Polizei.“ Probleme regeln wir unter uns. Seine Frau aber sieht bis heute nicht ein, warum es im Leben ihres Mannes anders zu zugehen sollte, als – zum Beispiel in der Welt ihrer Schwester Sarah Connor.

„Meine Schwester ist ja berühmt“, sagt Ferchichi, „und ich habe da gesehen, wie das Musikbusiness funktioniert.“ Niemals habe sie gehört, dass ein Manager 50 Prozent von den Einnahmen eines Künstlers bekam. Arafat ruft feixend in den Saal: „Ich schon.“ Vor Gericht wird diskutiert, ob er überhaupt diese Management-Funktion in Bushidos Leben ausgefüllt habe. „Immer musste mein Mann antanzen, wenn Arafat ihn irgendwelchen Freunden vorführen wollte.“ Dabei sei es egal gewesen, ob eines der Kinder eine Schulaufführung hatte, mit Lungenentzündung im Krankenhaus lag oder Bushido selbst Geburtstag hatte. „Wie ein Maskottchen“ habe Abou-Chaker ihren Mann behandelt. „Er hat alles bestimmt in unserem Leben.“ Wenn sie ein Handy zur Reparatur geben wollte, fragte sie Arafat. „Ich durfte noch nicht mal den Reifen meines Autos wechseln lassen, ohne mit Arafat vorher Kontakt zu haben.“

Der Richter Mrosk baut bei ihren Auftritten ein paar mehr Pausen ein als bei ihrem Mann. Das fällt auf. „Das wird Ihnen ihr Mann erzählt haben“, sagt er, „dass so ein Prozess auch oft aus Warten besteht.“ Er unterbricht auch dann, wenn Anna-Maria sagt: „Ich brauche keine Pause.“ Er sorgt für eine lockere, menschliche Atmosphäre bei Gericht, auch wenn bei anderen die Nerven längst blank liegen. Als der Chatverlauf zwischen Abou-Chaker und Anna-Maria Ferchichi verlesen werden soll, spricht er die Rolle des Bandenchefs. Das sorgt für Erheiterung im Saal. Und als am Mittwoch einer der Verteidiger sagt, dass es nach Marihuana rieche im Saal, da bestätigt er „mit der langjährigen Erfahrung aus dem Drogendezernat“ den Geruch als: „eindeutig Kiff“. Es ist einer dieser Momente, in denen der Richter den Saal räumen lässt, auch: aus Respekt.

Nach über 40 Verhandlungstagen ist jedoch noch immer nicht klar, wie dieser Prozess enden wird. Zwischen Freispruch und Haftstrafe ist alles möglich. Draußen an der Tür hängt die Liste der geplanten Prozesstage, sie reicht bis Ende des Jahres. Es sollen noch mehrere Zeugen vernommen werden. Doch einer der Zeugen aus dem Umfeld der Abou-Chakers wurde inzwischen abgeschoben. Ob er aus Istanbul für den Prozess nach Berlin kommt, ist offen.

Umso interessanter ist deshalb jeder Tag, an dem diese Welten aufeinanderprallen, deren einzige Gemeinsamkeit ist, dass alle im Saal während der Corona-Monate an Gewicht zugelegt haben. Auffällig auch, dass sich Arafat so lange geweigert hat, eine Maske zu tragen, doch jetzt, wo es diese in Schwarz gibt, trägt er sie, wenn auch oft unterhalb der Nase. Obwohl die Folgen der Pandemie auch hier im Saal spürbar waren: Arafats Mutter starb an Corona, Bushido selbst hatte Covid-19. Die Zuschauerzahl und die Sitze der Presse sind stark begrenzt. Und so entwickelt sich an guten Tagen trotz der finsteren Blicke der Polizisten eine Stimmung wie auf Klassenfahrt.

Erst in dieser Woche wieder steht Arafat direkt neben den Journalisten, spricht mit der Kollegin der BILD über seine Schuhe, Marke Gucci, er sagt „Gucki“. Niemand lacht. Mit dem Richter kumpelt er am Eingang zum Saal über die Niederlage der Nationalelf im Achtelfinale. „Sind wir jetzt alle für die Schweiz?“ Und Bushidos Anwalt fragt er, ob er mal „gepumpt“ habe, also Gewichte gestemmt. „Nee, echt jetzt, sieht so aus.“

Hatte man in den ersten Gerichtstagen manchmal das Gefühl, Arafats Augen sind ein bisschen zu glasig für die Tageszeit, wirkt er im Laufe der Monate immer beherrschter. Seine Demonstration von Macht findet außerhalb des Gerichtsgebäudes statt. Genauer: Schon am Treppenabsatz. Wenn Arafat den wuchtigen Bau verlässt, wird er manchmal von TV-Journalisten empfangen, die ihm zur Begrüßung den Arm um die Schultern legen. Es heißt, genau wie die Ferchichis bereitet auch er eine Dokumentation vor, die sicherlich pünktlich nach Prozess-Ende erscheinen wird.

Anna-Maria Ferchichi macht deutlich, dass sie nie von Arafat oder von dessen Entourage beeindruckt war. „Wenn du für diese Männer ins Gefängnis gehst, werde ich dich verlassen“, habe sie damals zu Bushido gesagt. Parallel habe sie sich mit den Frauen der Abou-Chaker-Brüder, inzwischen Ex-Frauen, angefreundet. Die Kinder tauschten Kuscheltiere. Man fuhr gemeinsam in Urlaube, ihr Mann wollte da schon lieber zuhause bleiben. Dabei bereitete man damals im Jahr 2017 den Einzug auf ein gemeinsames Grundstück in Kleinmachnow vor. „Wäre das nicht passiert, säße ich nicht hier.“ Alles wollte wieder Arafat bestimmen. „Es gab noch nicht einmal Platz für meine drei Autos“, sagt sie vor Gericht. Sie wollte einen Zaun anders ziehen als Arafat, wieder gibt es Geschrei mit sehr expliziten Kraftausdrücken. Arafat habe behauptet, ihr seien „Eier gewachsen“.

An dieser Stelle sei erwähnt, dass es auch außerhalb des Gerichtssaals vor der Sommerpause hoch her ging. Während sich Arafat vor Gericht weiterhin weigert auszusagen, sich aber indirekt doch immer wieder äußert, war es in der vergangenen Woche das Medium Twitch, das die Aufmerksamkeit der Prozessbeteiligten band. Auf diesem unter Jugendlichen beliebten Portal veröffentlichte jemand anonym ein Video, das Bushido im Jahr 2005 zeigt, eng umschlungen mit einem Mädchen. Bushido in Boxershorts.

In dem aufgezeichneten Gespräch im Video wird deutlich, dass Bushido nicht weiß, wie alt das Mädchen ist. Das 16 Jahre alte Video soll den Rapper beschädigen. Bushido selbst antwortet mit einem 90-minütigem Twitch-Video und geht das Video in voller Länge fast sekundengenau durch. Man merkt ihm an, dass er Erfahrungen als Zeuge gesammelt hat. Souverän versucht er, den Vorwurf der Verführung Minderjähriger auszuräumen. Niemals seien Minderjährige in den Backstage-Bereich gelassen worden. Es gab da vom Veranstalter ganz klare Regel. Jetzt – als Familienvater – sei er trotzdem nicht stolz auf diese Szenen. Gleichzeitig empfängt seine Frau den Sender RTL für eine Homestory und hier ist es passend, dass sie erzählt, wie oft sie Sex hat mit ihrem Mann („fast täglich“). Sie zeigt auch stolz ihr Ehebett.

All diese Nebenschauplätze haben offenbar die Nerven der Anwälte beider Seiten aufgerieben. Als deutlich wird, das Anna-Maria Ferchichi von den Chat-Verläufen, die von der Verteidigung eingebracht werden, erfahren hat, vermutet Arafats Verteidiger, Bushidos Anwalt habe sie informiert, obwohl er nicht ihr Anwalt ist. Der verneint, und als der Verteidiger mit schneidender Stimme dabei bleibt, reagiert er wütend: „Sie müssen mir nicht vorschreiben, wie ich meine Arbeit zu machen habe!“ Der Verteidiger: „Muss ich nicht, aber ich tue es.“ Kurz darauf beginnen beide zu schreien. Fast wirkt es so, als identifizieren sich beide Anwälte zu sehr mit ihren Mandanten. Anna-Maria Ferchichi bleibt jedoch bis auf wenige Tränenausbrüche beherrscht. Bushido hatte einmal über sie gesagt: „Sie ist der Grund, warum ich irgendwann meinen Scheiß-Mut zusammengenommen habe.“

Von diesem Moment erzählt sie zuletzt, kurz vor der „Sommerpause“ für diese Show im Saal 500. Im Januar 2018 ist es soweit, Bushido habe versucht, sich endgültig von Arafat loszusagen, liege anschließend geprügelt in den Armen seiner Frau, erzähle, dass Arafat ihm gedroht habe, seine ganze Familie zu „ficken“. Diese Drohung kann in der Welt des Gangsterrap vieles bedeuten: von Gewalt über Mord bis hin zur Vergewaltigung. „Das war keine Freundschaft“, sagt Anna-Maria Ferchichi, „das war völlige Überwachung und Kontrolle.“ Die Wut über diesen Tag hat sich bis heute bei ihr gehalten. „Ich sage Ihnen, es war gut, dass mein Mann mir damals nicht alles erzählt hat“, sagt sie. „Ich wäre Amok gelaufen.“

In den Wochen nach diesem Tag aber habe sie in manchen Momenten eine gewisse Freiheit verspürt. „Hey, schon eine Woche“, habe Bushido gesagt, „und noch nichts von Arafat gehört!“ Kurz darauf: „Schon zehn Tage“. Sie zeigt auf die Sicherheitsbeamten und sagt, niemand solle sich eine Illusion machen, dass ihr Leben angenehm sei unter Polizeischutz. Das sei es nicht. Ihr sei das bewusst gewesen, sagt sie, als sie das LKA anrief. Sie weiß noch genau, wie sie in das Nebenzimmer ging und diese Entscheidung fällte. Für ihren Mann, für ihre Kinder. Aus Respekt vor sich selbst. Am Mittwoch kam sie nicht ins Gericht, wegen Komplikationen in der Schwangerschaft. Der Verteidiger verlangte sofort mit Nachdruck ein Attest. Die Kinder in ihrem Bauch, es werden drei Mädchen.

 

Erschienen in der Berliner Zeitung, 3.7.2021.

Bushido vs. Arafat: Neun Millionen Euro

Berlin. Am 21. Dezember 2010 wollte Bushido in den Urlaub auf die Malediven fliegen. Gleichzeitig, so erzählt er, wollte sein Geschäftspartner einen Immobiliendeal ins Ziel bringen. „Wegen der Steuer musste er noch im gleichen Jahr abgeschlossen sein“, sagt Bushido. „Das war auch in meinem Interesse.“ Also brauchte Arafat Abou-Chaker, mit dem er zu dem Zeitpunkt seit sechs Jahren zusammenarbeitete, eine Vollmacht, genauer: eine Generalvollmacht. „Ich habe ihm vertraut“, sagt Bushido. „Außerdem saßen wir ja bei einem Notar und nicht in einer arabischen Teestube.“

Und wieder hat der Rapper Bushido, 41, für einen Moment die Lacher auf seiner Seite. Es ist der fünfte Verhandlungstag im Verfahren gegen den 44-jährigen Clanchef Arafat Abou-Chaker, mit dem der erfolgreiche Sänger über 14 Jahre lang zusammenarbeitete und der ihm nun als Angeklagter schräg gegenübersitzt. Mitangeklagt sind die drei Brüder Yasser, Rommel und Nasser, die 39, 42 und 49 Jahre alt sind. Nur der jüngste von ihnen sitzt derzeit in Untersuchungshaft. Die Anklage gegen die vier lautet auf versuchte schwere räuberische Erpressung, Freiheitsberaubung, Nötigung, Beleidigung – und Untreue.

Bushido vs. Arafat: Wie sie in Kontakt kamen

Berlin. Als Bushido an einen Seiteneingang vom Club Matrix in Friedrichshain kommt, steht da auf einmal Arafat A.-Ch. „Ich war vorher noch nie in dem Club“, sagt Bushido. „Und Arafat hatte ich bis dahin auch nie getroffen.“ Er hatte vom Clan der A.-Ch. gehört, aber gesehen hatte er bis dato keinen. Es war dieser Abend im Juni 2004, als Arafat und Bushido zum ersten Mal Hände schüttelten. Auch das beschreibt Bushido vor Gericht im Detail. Und dann kam das: „Er nahm mein Kinn zwischen seine Finger und drehte meinen Kopf zur Seite.“ Er habe sich das Tattoo genau ansehen wollen.

Es wirkt, als habe ein Käufer seine Ware begutachtet. So beschreibt es zumindest Bushido im Sitzungssaal 500 des Landgerichts Berlin. Der Rap-Sänger weiß genau, wie er berichten muss, so dass es wirkt, als wohne man der Nacherzählung eines Kinofilms bei. Er habe seine Finanzen nicht gut im Blick gehabt, sagt er zum Beispiel an einer Stelle in seinem Bericht. Er habe ein „Knax-Konto“ bei der Sparkasse. Dabei wird im Laufe des Nachmittags in diesem Hochsicherheitssaal deutlich werden, was durch diese Begegnung der beiden Männer in Gang gesetzt wurde und wie es schließlich dazu kam, dass sie sich erst lange als beste Freunde bezeichneten und einander jetzt als Nebenkläger und Angeklagter gegenübersitzen.

Die Anklage gegen den 41-jährigen Clanchef Arafat A.-Ch. lautet unter anderem auf schwere räuberische Erpressung, Freiheitsberaubung und gefährliche Körperverletzung. Auf diese Art habe er im Jahr 2017 Bushido, ebenfalls 41 Jahre alt, dazu zwingen wollen, die geschäftlichen Beziehungen nicht aufzulösen. Arafat habe von Bushido unberechtigt eine Millionen-Zahlung sowie die Beteiligung an dessen Musikgeschäften für 15 Jahre gefordert. Der Rapper sei bedroht, eingesperrt und verletzt worden und tritt deshalb auch als Nebenkläger auf. Die Brüder Yasser, Rommel und Nasser im Alter von 39, 42 und 49 Jahren sind als Gehilfen oder Mittäter angeklagt.

Das Gericht nimmt die Gefährdung des Lebens des Rappers offenbar sehr ernst, immerhin wird er von mehreren Sicherheitsbeamten mit Sturmmasken bewacht. Er selbst tritt locker in Sporthose, Sneakers und T-Shirt auf – und hat in den vergangenen Verhandlungstagen offenbar hinzugelernt. Deutlich spricht er ins Mikrofon und baut immer wieder Pointen ein, die das Publikum – auch dort sitzen Clanmitglieder in der letzten Reihe – mitnehmen auf die Reise in die Zeit des Beginns dieser Freundschaft.

Erschienen in der Berliner Morgenpost am 1. 9. 2020.

 

Bushido vs. Arafat: Die zweite Chance

Berlin. Dieses Mal beginnt Bushido seine Aussage mit einer Selbstbezichtigung. Als er den Zeugenstand betritt, sagt er: „Ich war ein unangenehmer Ehemann.“ Seine Frau Anna-Maria, die Schwester der Pop-Sängerin Sarah Connor, habe ein Kind mit in die Ehe gebracht, im Juni 2012 kam seine Tochter zur Welt und im November 2013 seine Zwillinge. „Ich habe meine Frau allein stehen lassen mit all der Arbeit.“ Dann starb seine Mutter, an der er sehr gehangen habe. „Ich war ein Muttersöhnchen“, sagt Bushido vor Gericht. „Ihr Tod hat mir den Boden unter den Füßen fortgerissen.“

Mit Bushidos Aussage steuert der vielbeachtete Prozess gegen Clanchef Arafat Abou-Chaker seinem Höhepunkt entgegen. Nach mehrwöchiger Unterbrechung ist der Rapper wieder im Landgericht Berlin in Moabit und erzählt von seiner rund 14 Jahre dauernden Geschäftsbeziehung mit Abou-Chaker. An deren Ende im Jahr 2017 soll es mutmaßlich zu Vorgängen gekommen sein, die der eigentliche Gegenstand dieses Prozesses sind: Dem 41 Jahre alten Clanchef wird versuchte schwere räuberische Erpressung, Freiheitsberaubung und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Seine Brüder Nasser (49), Rommel (42) und Yasser (39) sind mitangeklagt, letzterer ist in Untersuchungshaft.

Bushido: “Ich will kein Gangster sein”

Berlin. Nachbarschaftsstreit vor dem Landgericht Moabit: Am Mittwoch lernten die Zuhörer, dass die Freundschaft zwischen Bushido und Abou-Chaker wegen eines Zauns endete, der zwischen ihren Häusern in Kleinmachnow gebaut werden sollte. Im Sommer 2017 habe Bushido mit seiner Frau das Grundstück abtrennen wollen, Abou-Chaker war dagegen. Es ging um eine geplante Grillstelle, den Hund, der frei herumlaufen sollte, und Sichtschutz, weil seine Frau im Bikini am Pool sitzen wollte. Daran entzündete sich ein lauter Streit, bei dem Bushido zu seiner Frau hielt. Als der Clanchef zu Bushido sagte, er habe sich verändert, entgegnete Bushido: „Wann hast du mich eigentlich das letzte Mal angerufen, nur um zu wissen, wie es mir so geht?“

Seite Mitte August wird bereits im Landgericht Moabit darüber verhandelt, welche Beziehung Clanchef Arafat Abou-Chaker mit dem bekannten Rapper über 14 Jahre lang verband. Waren sie Freunde, Geschäftspartner oder war es eine „Zwangsehe“, wie es Bushido darstellt? Als Bushido diese Beziehung, die ihn seiner Aussage nach bis zu neun Millionen Euro gekostet habe, auflösen wollte, kam es laut der Anklage zu versuchter schwerer räuberischer Erpressung, zu Freiheitsberaubung, Nötigung, Beleidigung – und auch zu Fällen von Untreue. Mitangeklagt sind Arafats Brüder Yasser, Rommel und Nasser Abou-Chaker.

Der Prozess wurde in den vergangenen Wochen mehrfach unterbrochen, unter anderem weil die Mutter der Brüder an Covid-19 erkrankte und starb – und vor zwei Wochen wurde Bushido, Nebenkläger im Verfahren, selbst positiv auf Corona getestet. „Wir haben uns schon Sorgen gemacht“, sagt Richter Martin Mrosk nun, und Bushido entgegnet knapp: „Das glaube ich nicht.“ Er sei symptomfrei und fühle sich auch wieder fit. Im Gerichtssaal, der zu Beginn des Prozesses noch voll war und vor dessen Eingang damals Fans morgens um 6 Uhr anstanden, ist es am Mittwoch halbleer.

Erschienen in der Berliner Morgenpost, 12. 11. 2020