Corona-Tagebuch: Teil 11

Berlin. Das Wochenende steckte mir in dieser Woche mehr in den Knochen, als ich es zugeben wollte. Die Demonstration vom Sonnabend wollte mir nicht aus dem Kopf gehen. Rund um den Alexanderplatz waren Menschen versammelt, die Angst vor einer Zwangsimpfung hatten und sich als Corona-Rebellen bezeichneten. Sie hielten weder einen Mindestabstand ein noch ließen sie sich von der Polizei an die Regeln erinnern. Als es zu Rangeleien kam, verließ ich die Demo.

Zu Hause holte ich die Zeitung hervor, die von den Demonstranten verteilt wurde. Auf Seite 1 steht groß der Satz: „Das Virus ist nicht das Problem.“ Auf den nachfolgenden Seiten wird so getan, als sei das Grundgesetz komplett außer Kraft gesetzt und Deutschland befinde sich in einer Diktatur. Bebildert ist das Magazin mit Fotos aus dem Film StarWars (Todesstern und Prinzessin Leia), als wäre es Zeit, dass uns nur noch Jedi-Ritter vor dem „Impfperium“ beschützen könnten. Es wird schnell klar, dass es in dieser Woche vor allem um Verschwörungstheorien gehen wird.

Montag. Der Tag beginnt im Grunde friedlich. Ich höre morgens durch das offene Fenster ein Geräusch, dessen Ausbleiben mir nicht einmal aufgefallen war: Das Klackern eines Rollkoffers auf dem Kopfsteinpflaster. Ich schaue hinaus und sehe eine Frau mit einem großen Koffer in Richtung U-Bahn laufen. Als ich davon später einem Freund erzähle, antwortet er, es könne auch eine gescheiterte Ehe sein. Touristische Reisen sind schließlich noch nicht erlaubt.

Erschienen in der Berliner Morgenpost am 17. 05. 2020.

Corona-Tagebuch: Teil 12

Berlin. In dieser Woche habe ich Bilanz gezogen. Die vergangenen drei Monate haben mich verändert. Das lag vor allem an einer Tatsache, die ich bisher verschwiegen habe, weil sie mir auch ein bisschen peinlich ist – und weil ich sicher bin, dass meine Lektorin das hier auch liest. Corona hat dafür gesorgt, dass ich so viel geschrieben habe wie noch nie zuvor. Ich bin sozusagen „fremdgegangen“: Wenn ich meine Tagesarbeit für die Zeitung beendet hatte, habe ich noch an meinem Buch geschrieben, zumindest sehr oft. Ich hätte es vor der Corona-Pandemie fertig haben müssen, aber ich… – könnte jetzt irgendwas von Schreibkrise erzählen, aber das klingt nach Ausrede, und vielleicht ist es das auch.

Im Rückblick ist es vielleicht gerade das Schreiben dieser insgesamt zwölf langen Texte – also im Grunde eines zweiten Buches –, die mir erst ermöglichten, das andere Projekt zu beenden. Ich bin in der unangenehmen Situation, dass es wohl einer weltweiten Pandemie zu verdanken ist, wenn im Herbst ein Buch mit dem Namen „Inselhopping Indonesien“ erscheint, in dem ich von meinen Erlebnissen zwischen Sumatra und West-Papua im vergangenen Jahr erzähle.

Jetzt fehlt nicht mehr viel. Zumal ab Montag mein erster richtiger Urlaub beginnt. Schon in dieser Woche konnte ich mich darauf einstimmen und hatte mehrere freie Tage. Deswegen muss ich in dieser Woche auch am Sonntag vor einer Woche beginnen. Und da sind wir wieder beim Thema Corona.

Sonntag. Ich wache mit einem Kater auf, ich hatte am Abend zuvor endlich einem Freund sein Geburtstagsgeschenk gegeben, das wunderbare Buch „Ein wenig Leben“ von Hanya Yanagihara. Ein Roman über vier New Yorker Freunde, die sich in ihren 20ern kennenlernen und bis zu ihrem jeweiligen Lebensende begleitet werden – sie werden sehr alt. Ich hatte es per Post zu ihm nach Wedding geschickt, aber das Paket kam zurück. Da wir uns jetzt wieder treffen dürfen, habe ich es ihm vorbeigebracht, und wir haben mit sehr gutem Weißwein angestoßen. Er schreibt am Sonntagmittag, er sei auf Seite 36 und könnte es nicht weglegen.

Am Nachmittag kommt eine Freundin von mir vorbei, die gerade ebenfalls an einem Buch arbeitet. Auch sie sagt, dass sie die Pandemie vor Ablenkung schützt. Sie habe das Virus auch von Anfang an ernst genommen. Ein Bekannter von ihr liegt im Krankenhaus in München. Sie sagt: „Er war wochenlang an der Beatmungsmaschine, und die Ärzte haben seiner Freundin gesagt, dass es nicht sicher sei, dass er überlebt.“

Erschienen in der Berliner Morgenpost am 24. 05. 2020