Wie zwei Koreaner in Berlin Rassismus erleben

Berlin. Am U-Bahnhof Fehrbelliner Platz ist Hyuneun Kim ohnmächtig geworden. „Ich war wohl unter Schock“, sagt sie. „Es war wohl einfach alles zu viel.“ Sie sackte in sich zusammen, und ihr Ehemann Sejin Lee konnte ihren Fall bremsen.

Die beiden Koreaner waren zu diesem Zeitpunkt, kurz nach Mitternacht, auf dem Bahnsteig. Sie hatten die U7 verlassen, weil sie von drei jungen Männern belästigt und geschubst worden waren. Sejin Lee konnte sich noch dagegen wehren, wieder in die U-Bahn hineingezogen zu werden. Er wurde bespuckt. Dann kümmerte er sich um seine Frau. Die drei Männer rannten in Richtung des Bahnsteigs der U3 – Sejin Lee rief die Polizei.

Die U-Bahn fuhr weiter, die Polizei kam, und die beiden versuchten, den Beamten zu erklären, was gerade passiert war. Doch was die gebürtigen Koreaner dann erlebten, war nicht die erhoffte Erleichterung. Sie beschrieben den Beamten, was in der U-Bahn passiert war, wie sie in dem Waggon erst von drei Männern angesprochen wurden mit „Happy Corona“ und ob sie eine „Corona-Party“ feiern wollen. Zwei Frauen hätten die Szene beobachtet, aber nicht geholfen. Als sie dann mit ihrem Mobiltelefon die Szene filmen wollten, eskalierte die Situation schnell, es kam zu Beleidigungen und Tätlichkeiten. Sejin Lee: „Doch die Polizei sagte uns, das sei keine rassistische Beleidigung.“

Es kommt derzeit immer wieder vor, dass Asiaten in Europa und den USA im Zusammenhang mit Corona beleidigt werden. Es gibt Menschen, die Asiaten die Schuld am Ausbruch des Virus geben. Die Berliner Polizei sagt auf Anfrage der Berliner Morgenpost, dass es seit Beginn der Pandemie sieben Fälle von Beleidigung gegeben habe. Das seien zumindest die Fälle, die zur Anzeige gebracht worden seien. Der Fall der Koreaner sei einer davon. Doch die Polizei schränkt ein, dass es schwierig war, diese Fälle zuzuordnen, weil in Berlin das Aussehen eines Geschädigten normalerweise nicht registriert werde. Häufig könne man aber am Namen des Opfers feststellen, dass es sich um einen Asiaten aus China, Vietnam, Japan, Thailand oder Korea handele, aber wenn sie hier geboren sind, werde es schon schwierig.

Sejin Lee und Hyuneun Kim leben seit vier Jahren in Berlin. Sie kommen beide aus Südkorea, haben einander aber erst in Berlin kennengelernt. Die 25-Jährige studiert Gesang, ihr 31 Jahre alter Ehemann Architektur. Beide leben in Charlottenburg und hatten bisher keine schlechten Erfahrungen in Berlin. Sie werden ihr Studium auch hier fortsetzen. Doch auf die nächtlichen Spaziergänge, die in den Wochen der Pandemie für das Paar zu einem Ritual geworden waren, verzichten sie derzeit.

Seit dem Vorfall vor zwei Wochen wollen sie nicht mehr mit der U-Bahn fahren und gehen generell selten allein aus dem Haus. „Ich war nach dem Angriff beim Arzt, weil ich immer wieder Panikattacken bekomme“, sagt Hyuneun Kim. „Ich bin inzwischen schon ängstlich, wenn mich auf der Straße jemand länger anschaut.“ Hyuneun Kim wird psychologisch betreut. Die beiden haben inzwischen Anzeige erstattet und sind froh, dass sie die Aufnahmen mit ihrem Mobiltelefon gemacht haben – auch, weil in der U-Bahn ihnen niemand half.

Auf dem Video, das der Berliner Morgenpost vorliegt, sieht man, wie sich nicht nur die drei Männer lustig machen über das koreanische Ehepaar und gewaltbereit auf sie zukommen, sondern auch, wie zwei Frauen ebenfalls in der Gruppe sitzen und den drei Männern beipflichten. „Sie haben uns ausgelacht“, sagt Hyuneun Kim. „Auch dann, als ich gesagt habe, dass sie aufhören und uns lieber helfen sollen.“ Sie verstehen offenbar nicht, dass sich die Asiaten wirklich bedrängt fühlen. Der Vorfall fand in der Nacht von Freitag auf Sonnabend Ende April statt, es war 0.30 Uhr, ihrem Verhalten nach sind die Männer alkoholisiert.

Nicht immer gehen die Zwischenfälle so vergleichsweise glimpflich aus wie dieser Vorfall am Fehrbelliner Platz. Rund 165.000 Asiaten leben in Berlin, und in den jeweiligen Communities häufen sich die Berichte, dass Menschen auf der Straße oder in Geschäften beleidigt werden. Das begann schon einige Wochen vor der Coronavirus-Krise im Februar, als asiatische Restaurants als erste einen starken Umsatzeinbruch verzeichneten. Als dann sämtliche Restaurants schließen mussten, ging die Diskriminierung auf den Straßen der Stadt und in den öffentlichen Verkehrsmitteln weiter. Inzwischen trauen sich einige Asiaten nicht mehr ohne Begleitung in die Öffentlichkeit, schreiben sie in einigen Beiträgen in den sozialen Medien.

Sejin Lee und Hyuneun Kim haben auch viel Zuspruch für ihren Schritt in die Öffentlichkeit bekommen. Nachdem sie die Videos bei Facebook geteilt haben, äußerten viele ihr Mitgefühl und verurteilten rassistische Angriffe. Die Botschaft der Republik Korea hat sich ebenfalls der Sache angenommen. Selbst in Korea, einem Land mit 57 Millionen Einwohnern in Ost-Asien, schlägt der Berliner Fall hohe Wellen. Vor allem das Detail, dass ihr Anruf bei der Polizei zunächst nicht ernst genommen wurde, zeigt Wirkung. „Als die Beamtin uns aber sagte, dass nicht jeder Corona-Witz eine rassistische Beleidigung sei, dachte ich, sie versteht mich nicht richtig.“

Vergangene Woche waren die beiden Koreaner noch einmal eingeladen zu einem Gespräch bei der Polizei, wo sie erneut von dem Vorfall erzählten. Sie erschienen mit ihrem Anwalt und verbrachten sieben Stunden auf der Polizeistation. „Das war anstrengend“, sagt Sejin Lee, „aber ich hatte das Gefühl, dass die Polizei den Fall sehr ernst nimmt.“ Es gehe ihnen beiden auch sehr viel besser nach dem Gespräch.

Jetzt werden sich Juristen mit der Attacke vom Fehrbelliner Platz auseinandersetzen. Auch die beiden Frauen aus dem U-Bahnwagen haben Anzeige erstattet, wegen Beleidigung. Sie wollten sich nicht als Rassisten bezeichnen lassen. Dass sie aber gelacht und nicht geholfen haben, in einer Situation, in der sich zwei Menschen bedrängt gefühlt haben, ist auf dem Video deutlich zu sehen. Sie werden sicherlich als Zeugen noch einmal aussagen müssen.

 

Erschienen am 12.5.2020 in der Berliner Morgenpost