Berlin. Bevor der Spaziergang mit Margarete Koppers beginnt, gibt es einen sentimentalen Moment, der sich irgendwie auch über unser Gespräch und den Spaziergang an diesem angenehmen orange-gelben Nachmittag in Berlin legt. Ich habe zur Vorbereitung mehrere Texte über Berlins Generalstaatsanwältin gelesen. Es gibt viele Porträts, Interviews und diverse Kommentare zu ihrer Ernennung. In dieser Woche sind noch einige hinzugekommen, weil sie im Fall der mutmaßlich befangenen Staatsanwälte im Auge eines Orkans steht.
Doch dieser Spaziergang fand Mitte Juli statt und einer der aktuellsten Texte in jener Zeit über sie war ein Porträt in der Berliner Morgenpost vor rund einem Jahr. Darin stehen ganz wunderbare Sätze, zum Beispiel der hier: „Chefanklägerin und gleichzeitig Beschuldigte zu sein, solche Extreme passen irgendwie zu der Person Koppers.“ Oder dieser: „Die, die ihr wohlgesonnen sind, loben ihre Offenheit, ihren kooperativen Führungsstil und ihre Entschlossenheit Dinge voranzutreiben, Gegner hingegen wissen gar nicht, wo sie anfangen sollen mit ihrer Liste an Kritikpunkten.“
Geschrieben hat das Porträt mein Kollege Hans Nibbrig, der im Februar mit 62 Jahren überraschend an einer Lungenentzündung gestorben ist. Der Zeitraum so kurz vor dieser Pandemie hat uns in der Redaktion ratlos und traurig zurückgelassen.
Margarete Koppers kann sich gut an das Interview mit ihm erinnern. Damals hatte sie ihm Kaffee angeboten, anschließend gesagt, dass sie nichts zur Schießstandaffäre sagen werde und dann nachgeschoben, dass sie auch Tee da hätte. So ähnlich läuft es auch dieses Mal: Sie möchte nicht über die Schießstandaffäre sprechen, weil dazu alles gesagt und geschrieben sei und sie mittlerweile seit über zweieineinhalb Jahren im Amt als Generalstaatsanwältin arbeite und es genug andere Themen zu besprechen gebe. Wie sehr ihr diese Startschwierigkeiten zugesetzt haben, wird später trotzdem deutlich werden.
Margarete Koppers hat den Klausener Kiez als Ort für den Spaziergang gewählt, wir treffen uns im angenehmen Schatten des wuchtigen Polizeigebäudes am Kaiserdamm. „Ich habe hier während meines Studiums 1980 im Kiez gewohnt“, sagt sie, „und eigentlich hat fast jede meiner Wohnungen im Einzugsgebiet dieser Polizeidienststelle gelegen.“ Sie sei diese Straßen hinter der Polizeidirektion 2, Abschnitt 24, schon lange nicht mehr entlang gegangen.Als wir loslaufen, einigen wir uns, die 1,5 Meter einzuhalten und keine Masken zu tragen. Wie viele andere Berliner hatte auch sie Anfang März eine schlimme Erkältung und weiß bis heute nicht, ob das schon eine Covid-19-Erkrankung war. Kein Fieber, kein Geschmacksverlust, aber „merkwürdig lang dauerte es“, sagt sie, bis das Missgefühl abgeebbt war. Sie wolle sich in jedem Fall im Herbst erstmals gegen Grippe impfen lassen.
Wir laufen in die Horststraße links hinein, in ein Viertel, dass nach dem Klausener Platz im Norden benannt ist. Bei Stadtführungen wird die Gegend gern der „Kollwitzkiez des Westens“ genannt. Sie sagt, dass ihr die Mischung in diesem Kiez schon immer gefallen habe. Wir sehen hier ähnlich viele Familien wie in Prenzlauer Berg, aber auch Frauen mit Kopftuch, die sich auf dem Gehweg unterhalten – in einem peinlich genau eingehaltenen Abstand zueinander. Wir laufen durch einen Hinterhof und stehen schließlich in der Straße, in der Margarete Koppers einst in ihrer Jugend gewohnt hat.
„Über einen Bekannten meiner Mitbewohnerin bekamen wir die Wohnung an der Nehringstraße 21/22“, sagt sie. „Wir haben 200 D-Mark im Monat bezahlt und hatten Ofenheizung und eine Toilette in der Wohnung, dafür kein heißes Wasser.“ Sie erinnert sich gern an jene drei Jahre. Sie sei mit gerade 19 Jahren nach Berlin gezogen um Jura zu studieren. Vor 40 Jahren hatte sie noch keine Ahnung, dass sie einmal beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe arbeiten und später als Vizepräsidentin der Berliner Polizei arbeiten werde.
Als wir vor ihrem ehemaligen Haus stehen, sind wir beide ratlos. Die Tür ist natürlich verschlossen. Ich klingele bei einem Namen, nichts, bei einem zweiten. Ich weiß noch nicht einmal, was ich sagen soll. Ich drücke drei Namen gleichzeitig und dann fragt eine freundliche Stimme: „Wer ist da?“ Ich sage meinen Namen, erwähne die „Berliner Morgenpost“ und bin nicht sicher, was von beiden funktioniert hat. Wir sind drin.
Margarete Koppers zeigt auf das Fenster im Hinterhof, ganz oben links, das sie bewohnt hat. „Einmal gab es einen Brand“, sagt sie, „es war abends gegen 23 Uhr.“ Das ganze Haus kam zusammen und stand mit ein paar Habseligkeiten in der Nehringstraße. „Ich hatte meinen Ausweis und Studiennachweise zusammengesammelt und erst als ich auf der Straße stand, sah ich, dass die türkische Familie aus dem Erdgeschoss mit Familienalben dastand.“ Sie merkte, dass sich die Papiere in ihrer Hand ersetzen ließen. „Aber die Fotos wären für immer weg gewesen, wenn der Brand sich ausgeweitet hätte.“
Es ist leicht, in diesem Kiez in der Geschichte der Stadt zu schwelgen. Er ist benannt nach Erich Klausener, einem Katholiken, der die Nazis kritisierte und dafür 1934 ermordet wurde. Am Polizeigebäude am Kaiserdamm wird an Bernhard Weiß erinnert, einen jüdischen Juristen und Polizeivizepräsidenten, der 1933 ins Exil floh. Wir laufen an der Ingeborg-Bachmann-Bibliothek entlang, an einem Handarbeitsladen und einer Bäckerei, die es schon gab, als Koppers hier wohnte. Immer wieder treffen wir auf Dinge, die auf Berlins dunkle Vergangenheit verweisen. Wie der Stolperstein, der plötzlich vor uns glänzt: „Eta Klinkowstein, Jahrgang 1877, deportiert 1942.“ Ganz unten ein Wort: „Ermordet“.
Als Polizeivizepräsidentin hat sie immer wieder mit Rechtsextremen zu tun gehabt, auch in den eigenen Reihen. Jetzt als Generalstaatsanwältin musste sie erst in dieser Woche ankündigen, dass sie einige 100 Fälle noch einmal neu aufrollen wird. Es geht um Verdachtsmomente gegen einen Mitarbeiter der Berliner Staatsanwaltschaft. Laut Aussagen eines mutmaßlich rechtsextremen Beschuldigten im Neuköllner Autobrandstiftungskomplex sei der Mitarbeiter AfD-nah – und deshalb „auf seiner Seite“. Einem anderen Staatsanwalt wird vorgeworfen, von dieser Aussage gewusst, sie aber nicht seinem Vorgesetzten berichtet zu haben. Zwei Staatsanwälte wurden versetzt, Mitarbeiter sprechen von einem Beben, das durch die Behörde gehe.
Obwohl unser Treffen zwei Wochen vor diesem Beben stattfindet, kann man sich vorstellen, dass sie solch einen Druck aushalten kann. Sie war am Bundesverfassungsgericht, als die bayerische Landesregierung dem Bund die Gesetzgebungskompetenz abgesprochen hatte beim Altenpflegegesetz, das zeitweise außer Kraft gesetzt wurde. Als sie Polizeivizepräsidentin war, wurde der Polizei vorgeworfen von arabischen Clan-Mitgliedern unterwandert zu sein – und die Schießstandaffäre, bei der Polizisten unter gesundheitsgefährdenden Bedingungen das Schießen übten, hat sie bisher unbeschadet überstanden.
Wir setzen uns in ein Café, das genauso gut in Prenzlauer Berg sein könnte. Das „&Coffee“ hieß ursprünglich einmal „Architecture&Coffee“, benannte sich aber um, weil das Architekturbüro im hinteren Teil an Bedeutung verlor. Wir bestellen beide einen Kaffee und reden über den Rechtsstaat. Und während sie spricht, fällt mir noch einmal ein Satz ein, den mein Kollege 2019 über sie schrieb: „Ein Gespräch mit ihr kann zwischenzeitlich schon mal zur lockeren Plauderei werden, aber sobald es um Fakten geht und um Dinge, die ihr wichtig sind, kommen ihre Aussagen schnell, präzise, fast im dienstlichen Tonfall.“
In genau diesem ernsten Ton, den sie auch eine Woche später am Mittwochabend in der Abendschau hat, spricht sie davon, dass dieser Rechtsstaat ein „extrem wichtiger Baustein unserer Demokratie“ sei. „Dass die staatlichen Institutionen ihre Defizite haben, das wissen wir alle, aber an denen arbeiten wir, um sie weiterzuentwickeln.“ Sie findet, wir müssten auch ein bisschen stolz auf unser Rechtssystem sein. „Wir sollten vor allem dafür eintreten und dafür kämpfen dass wir es bewahren – und mir ist es egal, wenn ich da jetzt staatstragend klinge.“
Als wir weiter in Richtung Schloss Charlottenburg laufen, erzählt sie von dem Fall, der sie während ihrer Zeit am Berliner Strafgericht so beschäftigt habe, dass sie auch abends nicht abschalten konnte. „Ein Ägypter hatte seine Kinder entführt und selbst als er schon fast ein Jahr in Untersuchungshaft war, wollte er den Aufenthaltsort der Kinder nicht verraten.“ Im Prozess sagte er damals: „Ich kann auch im Gefängnis beten.“ Die Mutter lebte in Berlin und hatte sich gegen den strengen Islam ihres Mannes gewandt. In dem Fall kam so viel zusammen, dass eine Schöffin im Prozess in Tränen ausbrach. Es war die Zeit, als sie merkte, dass sie die Arbeit nicht zu nah an sich heranlassen darf.
Kurz vor dem Spandauer Damm kommt uns ein Mann entgegen, der sie grüßt. Sie nickt und sagt im Vorbeigehen „Ach, hallo!“ Sie sagt, das sei ein Kollege von „VelsPol“, dem Verein lesbischer und schwuler Polizistinnen und Polizisten. Margarete Koppers ist offen bisexuell, war mit einem Richter verheiratet und lebt seit 19 Jahren mit ihrer Partnerin zusammen, die als Familienrichterin in Berlin arbeitet. Das Outing geschah auf den Rat ihres Vorgesetzten Dieter Glietsch, nachdem es Gerede in der Polizei gegeben hatte, wer denn wohl die Frau sein, die ans Telefon geht, wenn die Kollegen bei ihr zu Hause anriefen.
Mit ihrer Frau jogge sie manchmal durch den Charlottenburger Schloßpark, den wir zusammen gerade betreten. Plötzlich ist kaum noch Verkehr zu hören, Margarete Koppers setzt ihre Sonnenbrille auf. Das Outing sei ein „bisschen absurd“ gewesen, weil es ja nie ein Geheimnis war, sagt sie. Es war zudem ungewohnt, dass etwas Privates plötzlich zum Thema in ihrem Arbeitsumfeld wurde. „Ich habe dann aber verstanden, wie wichtig es ist, öffentlich dazu zu stehen, wie ich lebe, weil es um role models für Frauen und LSBTI in Führungsfunktionen ging.“ Sie habe sich dadurch aber auch erst verwundbar gemacht für weitere Diskriminierungen. Das sei etwas, dass ihr immer wieder begegnet sei, dass Menschen sie persönlich angriffen, besonders in der Schießstandaffäre. „Je mehr man von sich preisgibt, umso angreifbarer macht man sich für andere.“ Wie persönlich die Angriffe aber waren, das verstehe sie bis heute nicht.
Sie zeigt auf das Gerichtsgebäude auf der anderen Seite des Ufers: „Ich war sehr gerne Richterin, und deshalb schon erstaunt, dass ich diesen Beruf später nicht vermisst habe.“ Dann habe sie erst gemerkt, wie sehr sie einzelne Fälle belastet hätten. „Der Fall, von denen ich Ihnen vorhin erzählt habe“, sagt sie und erzählt: „Die Mutter der Kinder hat zehn Jahre später von ihrer Tochter eine Mail bekommen. Sie haben wieder Kontakt.“
Wir laufen zurück in Richtung Kaiserdamm, dieses Mal eine andere Strecke, durch den Schustehruspark, aus dem ein sanfter Marihuana-Geruch uns entgegenweht. „Das haben Sie auch gerochen, oder?“, sagt sie und lacht. „Egal, zu welcher Tageszeit, man riecht es eigentlich immer.“ Als wir den Kaiserdamm fast erreicht haben, winkt mir ein Smart-Fahrer aus seinem heruntergefahrenen Dach zu. Ich solle ihn mal schnell einweisen, er wolle bei XL Döner sich nur schnell einen Döner holen. Margarete Koppers schaut belustigt auf den Fahrer, der zeigt, wie schlecht manche Männer einparken können. Kurz darauf steigt sie aufs Fahrrad und fährt davon.
Zur Person: Margarete Koppers
Werdegang: Margarete Koppers wurde 1961 am Niederrhein nahe der niederländischen Grenze geboren. Nach dem Abitur studierte sie ab 1980 Rechtswissenschaften an der Freien Universität in Berlin. Ihr zweites Staatsexamen legte sie 1988 ab. Noch im gleichen Jahr wurde sie zur Richterin auf Probe berufen. 1991 wurde sie Richterin am Amtsgericht, vier Jahre später Richterin am Landgericht Moabit, weitere vier Jahre später Vorsitzende Richterin am Landgericht. Im Jahr 2001 verließ sie Berlin für zwei Jahre und ging als wissenschaftliche Mitarbeiterin zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. 2010 wurde sie Polizeivizepräsidentin im Beamtenverhältnis auf Probe und seit 2012 ist Frau Koppers Polizeivizepräsidentin im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit. Nach dem Ende der Amtszeit von Dieter Glietsch übte sie kommissarisch für eineinhalb Jahre das Amt der Polizeipräsidentin aus, bis Klaus Kandt Ende 2012 neu das Amt übernahm. Unter ihm blieb sie Vizepräsidentin, bis sie vor zweieinhalb Jahren Generalstaatsanwältin Berlins wurde. Sie ist die erste Frau in diesem Amt.
Der Spaziergang: Die Route führte von der Polizeidirektion 2 am Kaiserdamm über die Nehringstraße zum Park hinter dem Schloss Charlottenburg und schließlich zurück zum Kaiserdamm über den Schusteruhpark.
Erschienen in der Berliner Morgenpost am 9.8. 2020.