Spaziergang mit Lisa Maria Potthoff

Lisa Maria Potthoff

An einem Montagvormittag spazierte ich mit Lisa Maria Potthoff ungefähr eine Stunde lang vom S-Bahnhof Wilhelmsruh am Mauerweg entlang bis zum echten Stück Berliner Mauer, eine nicht hübsche, aber historisch interessante Vogel-Statue am Rand des Märkischen Viertels. Wir haben dabei über ihre Familie gesprochen, über den Mauerfall, den Streit zwischen München und Berlin und schließlich über einen tödlichen Unfall, der hier in der Gegend im Oktober passiert ist. Natürlich ging es auch immer wieder um Potthoffs Schauspielkarriere und ihre Rollen. Aber am wichtigsten ist: Dieser Spaziergang hat genau so stattgefunden, wie er auf der Karte rechts aufgezeichnet ist.

Das muss hier deswegen so einmal gesagt werden, weil Reportagen, Porträts und Mischformen wie dieser Text gerade unter dem Verdacht stehen, dass Dinge irgendwie „hingebogen werden“. Vor rund einem Monat wurde der „Spiegel“-Reporter Claas Relotius als Fälscher enttarnt, er hatte sich ganze Personen erfunden, Geschichten und Interviews ausgedacht. Seit diesem Tag der Enttarnung fühlt man als Reporter immer wieder den Zweifel der Leser im Nacken, auch beim Schreiben übrigens. Das fühlt sich wie kalter Hauch an, der vom Nacken die Wirbelsäule entlangwandert und schließlich im Magen für großen Aufruhr sorgt. Ein schlimmes Gefühl.

Lisa Maria Potthoff und ich haben uns gerade erst die Hand geschüttelt und einander das Du angeboten – wir sind beide Jahrgang 1978 –, als sie genau dieses unangenehme Gefühl auslöst: „Ach, wir gehen wirklich spazieren“, sagt sie. Es ist nicht ganz klar, ob ein Fragezeichen am Ende ihrer Frage zu hören ist. Sie trägt einen eleganten dunklen Mantel und dazu noch eine Art Decke um die Schultern. „Ich hatte mich dafür auch vorbereitet, war mir aber nicht ganz sicher, ob wir nicht auch einfach in ein Café gehen.“ Doch, doch, kläre ich sie auf, wir werden wirklich ein Stück durch die Kälte laufen und uns dabei von der Umgebung inspirieren lassen.

Wie alle „Spaziergänger“ dieser Serie kann sie den Treffpunkt bestimmen. Als Lisa Maria Potthoff zum ersten Mal Wilhelmsruh erwähnte, wunderten wir uns, der Fotograf und ich. Die meisten Spaziergänger wählen eine Gegend rund um die Museumsinsel, auch weil der Leser da alles wiedererkennt – und irgendwo taucht immer der Fernsehturm auf oder das vertraute Blau einer U-Bahnhaltestelle. Hier draußen aber sind wir alle drei zum ersten Mal. „Ich habe den Ort gewählt, weil er an der ehemaligen Grenze entlangführt“, sagt Lisa Maria Potthoff. „Meine Familiengeschichte ist von dieser Grenze, die man kaum noch sieht heute, sehr geprägt.“

Erschienen in der Berliner Morgenpost, 27.1.2019