Sheela Birnstiel, Porträt

Sören Kittel

Basel.  Sheela Birnstiel ist schwer zu durchschauen. Das liegt nicht an der Sonnenbrille, die nimmt sie ab, wenn man sie bittet. Es liegt eher daran, dass es so viele Geschichten über diese rätselhafte Frau gibt, die heute Leiterin eines Heimes für geistig Behinderte in der Schweiz ist. Vor 35 Jahren war sie die Sekretärin eines indischen „Sex-Gurus“, wie der Sektenführer Bhagwan Shree Rajneesh gern genannt wurde.

„Sekretärin?“, fragt sie. „Bitte nennen Sie mich Bhagwans Geliebte.“ Aber sie habe nie ein sexuelles Verhältnis mit ihm gehabt. Sie war ihm in den turbulenten Jahren nah, sah ihn täglich, folgte ihm geistig, liebte ihn. Man kann also sagen: Es war kompliziert.

Dieser Bhagwan ist auch der Mann, für den die gebürtige Inderin beinahe zur Mörderin geworden wäre. Sie war überzeugt davon, dass sein Leibarzt ihn vergiften wollte. Und so planten einige Frauen aus ihrem Umfeld den Tod des Arztes. Der Giftanschlag schlug fehl, der Arzt überlebte, Sheela ging ins Gefängnis.

Bhagwan-Bewegung ist Gegenstand einer neuen Netflix-Serie

Der Mann, den sie beschützen wollte, ihre „große Liebe“, dieser Bhagwan nannte sie öffentlich eine „undankbare Hure“. Diese turbulenten Jahre zwischen 1980 und 1985 sind gerade wieder Thema, weil der Streamingdienst Netflix eine sechsteilige Dokumentation ins Programm genommen hat. In „Wild Wild Country“ werden viele Anhänger des Gurus interviewt. Sie waren leicht erkennbar, denn sie trugen alle rote oder orangefarbene Kleidung.

Doch die mit Abstand spannendste Figur bleibt die junge Sheela. Sie lebte es, das tabulose Leben in einer Gemeinschaft, in der Sex nichts Verstecktes, nichts Peinliches war, sondern etwas, das gefeiert wurde – nicht nur zu zweit. Sie trat in Talkshows auf, sie provozierte mit Schimpfwörtern und mit ihrer offen zur Schau gestellten freien Liebe. „Wir sind genau wie ihr“, sagte sie zum US-Publikum, „wir haben nur besseren Sex.“