Berlin. Als Fabian acht Jahre alt ist, rennt er durch den Garten seines Großvaters. Eigentlich ist er kein wildes Kind, aber es ist der 70. Geburtstag seines Großvaters, die ganze Familie ist gekommen, er ist aufgeregt. Plötzlich rennt er gegen eine Metallstange und verliert beide Schneidezähne. Er muss ins Krankenhaus. In der Notaufnahme hört er die Fragen der Krankenschwestern nach „Krankheiten in der Familie“. Er hört auch, wie seine Eltern diese Frage nicht beantworten können.
Dabei gibt es eigentlich wenig Geheimnisse in seiner Familie. Fabians Eltern haben ihm immer ganz offen gesagt, dass sie ihn adoptiert haben. Er hat zwei weitere Adoptivgeschwister, eine Schwester mit Down-Syndrom, einen Bruder, mit dem er sich als Kind oft prügelte, aber den er immer noch gern anruft. Sie waren eine glückliche Familie, sagt er heute.
Seine Eltern waren beide Lehrer, am Sonntag gingen sie mit den Kindern in die Kirche. Fabian wurde Messdiener, lernte Gitarre und Schlagzeug, die Mutter fuhr ihn zum Judo-Kurs und am Wochenende zu den Wettkämpfen. Fabian fährt gern dorthin, was er Zuhause nennt. Erst vor drei Wochen, zu Weihnachten, war er da, auch der Großvater kam, er ist jetzt 97 Jahre alt.
Aber da war immer etwas, über das nicht gesprochen wurde. So als ob es da ein anderes Leben gab, jenseits von seinem in Münster. Er beschreibt es nicht als brennendes Gefühl, das ihm den Schlaf raubte, eher wie einen abenteuerlichen Gedanken, der ihm immer kam, wenn er im Auto saß und die Landschaft vorbeirauschte. Er stellte sich dann Fragen: Warum wollte ihn seine Mutter nicht behalten? Er ist doch eigentlich ganz okay, so wie er ist, oder?
Fabian wurde am 12. Mai 1983 geboren, abends kurz vor halb neun, in einem Krankenhaus in Tempelhof. Irgendwie wird er deshalb immer eine Beziehung zu Berlin haben, obwohl er nie in der Stadt gewohnt hat. Seine Mutter gibt ihm keinen Namen. Er war mehrere Tage namenlos auf der Welt. Nach vier Wochen wird er in ein Flugzeug getragen, British Airways, Sitz A4. Auf dem Schoß seiner Adoptivmutter überfliegt er die innerdeutsche Grenze, seinem neuen Heim entgegen.
Fabian ist heute 35 Jahre alt, hat ein freundliches, rundes Gesicht, nur wenige Millimeter kurze Haare und einen kleinen Kugelbauch. Er hat viele Papiere aufbewahrt, die wie Puzzleteile etwas von seiner Herkunft erzählen: Das Flugticket von damals, die Adoptionsbestätigung und ein Schreiben, auf denen die zwei Bedingungen stehen, die seine Mutter für die Adoption aufgestellt hatte: Das Kind solle außerhalb von Berlin aufwachsen. Und sie wünsche eine „Erziehung in katholischer Konfession“. Auf einem anderen Papier steht noch dieser Satz: „Es handelt sich um eine Inkognito-Adoption, bei der Auskünfte nicht erteilt werden dürfen.“ Darunter die Unterschrift der Mutter.
Seine Adoptivmutter, die er immer Mama nennt, erzählt ihm später, dass er ein braves Kind war. Und dass er sehr an ihr gehangen habe. Wenn sie auf Dienstreise war, erzählte ihm sein Papa, saß Fabian am Fenster, schaute stundenlang heraus und wartete auf sie. Er sagt, dass seine Eltern ihn immer unterstützt haben. Nur wenn er mehr von seiner Herkunft wissen wollte, wurden sie stumm. Sie sagten nie: Wir wissen nichts. Sie sagten: Manche Dinge muss man ruhen lassen. Schon als Kind hat Fabian etwas, was nur wenige haben: Geduld. Er beschließt, zu warten, bis er groß ist.
Als er 13 Jahre alt ist, ergreift er eine Gelegenheit. Er ist allein zu Hause und geht in den begehbaren Kleiderschrank der Eltern. In einer Ecke ist ein Safe, in dem sie Akten aufbewahren. Er kennt die Kombination längst auswendig. Er dreht den Öffner, klick, plötzlich liegt vor ihm der Name seiner leiblichen Mutter, geboren im Januar vor 59 Jahren in Polen. Es ist der kleine Stapel Papiere, den ihm seine Mama Jahre später aushändigen wird.
Er liest: „Inkognito-Adoption“, ein Wort wie aus einem Agentenkrimi. Seit diesem Tag weiß Fabian, dass er eine Mutter in Berlin hat und sie eines Tages sehen wird. Es ist der Startschuss für eine Suche, die noch sehr lange gehen wird. Wenn man ihn fragt, warum er sie überhaupt antritt, diese lange Reise, kann er das nicht genau erklären. Er sagt dann, dass er wissen will, woher er kommt. Er sagt auch: Es lässt mir keine Ruhe.
Als er 17 Jahre alt ist, nach dem Realschulabschluss, macht er ein Praktikum in einem Pflegeheim, beginnt kurz darauf eine Bäckerlehre. Als er fertig ist, geht er direkt zurück in ein Pflegeheim. Er will nicht mit Teig arbeiten, sondern mit Menschen. Wenn er sich fragt, warum das so ist, landet er schnell bei der Frage seiner Herkunft. Oder hat das andere Gründe?
Kurz nach seinem 18. Geburtstag geben seine Eltern ihm den Kontakt zur Adoptionsagentur. Die Adoption muss nicht mehr inkognito sein. Ihm hilft, dass vor fast 30 Jahren, im Jahr 1989, das Bundesverfassungsgericht ein wichtiges Urteil fällte. Jeder Deutsche hat seitdem das Recht, zu erfahren, von wem er oder sie genetisch abstammt. Die Verfassungsrichter begründeten das damals unter anderem mit den Artikeln eins und zwei des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Jeder Mensch hat das Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung.
Doch parallel gibt es auch das Recht der Mutter, unerkannt zu bleiben, wenn sie das möchte. Wenn das nicht so wäre, würden Frauen in einer Notlage wie sie vielleicht andere, schrecklichere Wege gehen. In Deutschland werden jährlich durchschnittlich 27 Kinder in Babyklappen abgegeben. Sie bleiben also anonym und werden wohl nie ihre Herkunft erfahren. Einige Krankenhäuser bieten auch die Möglichkeit der anonymen Geburt. Oft geht es um Mütter, die nicht für ein Kind sorgen können.
Als Fabian die Agentur anruft, sagt ihm eine Frauenstimme, sie kenne die Mutter und dass diese keinen Kontakt wünsche. Es ist ein langes, ernstes Gespräch, die Adoptionsvermittlerin klingt streng dabei. Daran erinnert sich Fabian noch Jahre später. Sie sagt ihm, dass die Mutter ihn nach der Geburt nicht auf ihrem Bauch liegen haben wollte. Er fragt nach dem Grund, sie antwortet ausweichend. Schließlich sagt sie, die Mutter sei nicht freiwillig schwanger geworden. Er sei bei einer Vergewaltigung entstanden.
Wer lange mit Fabian redet, über seine Herkunft, der erfährt schnell von diesen Details. Dieses „nicht auf ihrem Bauch liegen“ und die Vergewaltigung. Man merkt, dass er über diese Dinge lange nachgedacht hat. Fast wirkt er erleichtert, wenn er sie erzählt, weil diese Informationen ihm helfen zu verstehen, warum seine Mutter ihn nicht sehen will. Er weiß, dass er nicht mehr wie ein 35 Jahre alter Mann argumentiert, wenn er sagt: „Aber ich will sie doch nur einmal treffen.“
In jenen Monaten ist er froh, dass er Lena hat. Sie ist noch heute seine beste Freundin. Lena ist so alt wie er, wohnt nicht weit weg von ihm, besucht ihn oft. Er weiht sie früh ein in den Plan, seine leibliche Mutter zu besuchen. Sie unterstützt ihn, aber sie warnt ihn auch, dass ein Treffen die Sehnsucht vielleicht nicht beendet, sondern verstärkt.
Die Frau von der Agentur rät ihm von einem Besuch ab. Wie um ihn zu beruhigen, schickt sie ihm ein Foto. Es zeigt seine Mutter, als sie vielleicht Mitte 20 ist. Sie blickt ernst in die Kamera. Weiße Bluse, Goldkette, Sonnenbrille auf die Stirn geschoben, die Schultern kraftlos. Er hat es abfotografiert und hat es so immer dabei, auf dem Display seines Telefons.
Während der Ausbildung zum Pfleger zieht er wieder nach Münster, wohnt bei seinen Eltern. Er schaut damals viel fern. Im Fernsehen sieht er Sendungen, in denen verloren geglaubte Verwandte zum ersten Mal aufeinander treffen. „Vera am Mittag“, „Verzeih mir“ oder „Nur die Liebe zählt“. Da geht der Vorhang auf und plötzlich kommt die Mutter/der Vater/der Sohn/die Tochter auf die Bühne und unter Tränen umarmen sie einander. Fabian will das auch erleben, diesen großen Moment. Er macht ein paar Anrufe in Berlin, recherchiert im Internet.
Ein paar Wochen später klingelt sein Telefon, eine unbekannte Nummer. Er hört zum ersten Mal die Stimme seiner leiblichen Mutter. Sie sagt ihm in gebrochenem Deutsch, dass sie nicht möchte, dass er weiter nach ihr suche. Als er etwas sagen will, stoppt sie ihn sofort: „Ich kann Deine Stimme nicht ertragen, sie erinnert mich an etwas Schlimmes.“ Sie legt auf.
Es gibt Situationen wie diese, da können seine Freunde nicht helfen. Fabians Adoptivmutter merkt das, sie empfiehlt ihm einen Psychotherapeuten. Er trifft ihn, will aber nicht über seine Adoption sprechen. Erst nach Jahren erzählt er doch von der Vergewaltigung, davon, was das alles mit ihm macht. Er fragt den Psychologen, ob er seine leibliche Mutter treffen solle? Der rät ab. Fabian habe zwar das Recht, zu erfahren, woher er komme. Aber sie habe das Recht, in Ruhe gelassen zu werden.
Er könnte jetzt aufhören, seine Mutter zu suchen. Er weiß, dass sie wahrscheinlich sehr schlimme Erinnerungen mit seiner Geburt verbindet, mit seiner Existenz. Will sie denn wirklich nicht wissen, was aus ihm geworden ist? Obwohl es so lange her ist, dass ihre Nabelschnur durchtrennt wurde, ist sie noch Teil von ihm. Aber ist er auch ein Teil von ihr? Bleibt sie nicht für immer seine Mutter?
Als er mit seinen Eltern in jener Zeit nach Mallorca fährt, schreibt Fabian heimlich eine Postkarte. Die Berliner Adresse hatte er aus dem Safe. „Liebe Mama“, schreibt er, „Ich schicke dir sonnige Grüße aus Mallorca. Ich komme bald nach Berlin. Ich hoffe, wir sehen uns dann. Dein Sohn Fabian.“ Er denkt damals, das sei eine gute Idee, sich so anzukündigen, so ein bisschen, als würde sich der Vorhang öffnen bei „Verzeih mir“: Tadaaa, ich lebe! Eine Antwort bekommt er nicht.
Er lässt nicht locker, schreibt noch einen Brief, bittet sie um ein Treffen. Dieses Mal antwortet sie, zwei Seiten auf Polnisch. Er lässt den Brief von einem Freund übersetzen und erfährt, dass sie ihn nicht treffen will. Es sei zu schwer für sie, er möge das verstehen. Sie schreibt auch, dass sie für ihn bete. Im Mai, zu seinem Geburtstag und manchmal am Sonntag.
Sie hat ihm eine kleine Holz-Ikone in den Brief gesteckt. Wenn man die Türchen aufklappt, sieht Fabian die Gottesmutter Maria mit Jesus im Arm. Er bewahrt sie auf wie einen Schatz.
Vor acht Jahren, er ist 27 Jahre alt, fährt Fabian nach Berlin. Es ist ungeplant, er wartet vor ihrer Haustür, fühlt sich wie ein Verbrecher, ein Stalker. Er sieht sich eher als Detektiv. Er bleibt erfolglos, seine Mutter ist vielleicht verreist, jedenfalls nicht da. Er lässt ihr einen Umschlag vor der Wohnungstür. Er legt keinen Brief hinein, sondern nur die kleine Holz-Ikone, die er von ihr hat.
Nach seinem 35. Geburtstag beginnt er noch einmal im Internet zu suchen. Fabian findet einen Artikel über den Absturz eines polnischen Passagierflugzeugs, in dem das halbe Regierungskabinett aus Polen sitzt. In Berlin findet eine Trauerfeier in der polnischen Gemeinde statt, eine Besucherin wird interviewt. Der Reporter fragt nach ihrem Namen und zum ersten Mal taucht er im Internet auf. Fabian schreibt dem Redakteur, der die Frau interviewt hat. Vielleicht reagiert seine Mutter anders, wenn sich eine Tageszeitung einschaltet?
Dieser Redakteur bin ich. Ich schreibe der Mutter einen Brief auf Deutsch, erkläre die Situation Fabians, erkläre ihr, dass es ihm gut gehe, er aber gern wissen möchte, wo er herkommt. Sie antwortet wieder auf Polnisch, schreibt, dass ihr „Herz sehr schmerze“, aber dass sie sich grundsätzlich ein Treffen vorstellen könne. „Wenn ich genug Kraft besitze, werde ich ihn anrufen.“ Sie möchte, dass ihr Name aus dem Online-Text gelöscht wird. Das ist geschehen.
Für Fabian ist diese vage Zusage genug, um sich auf den Weg von Osnabrück nach Berlin zu machen. Er nimmt Mitte Oktober Urlaub vom Pflegedienst und fragt Lena, ob sie ihn begleitet. Alles, was er will, ist: ein Treffen mit seiner Mutter. Es ist Lenas Idee, diese Reise im Herbst 2018 mit einem Wohnmobil zu machen. Sie sagt, das sei wie in dem Film „Vincent will Meer“, Freunde fahren quer durch Deutschland. Der Horizont, lautes Autoradio, ein Moment fürs Kino, er will ein großes Finale einer Suche.
Fabian fährt das Wohnmobil, Lena kümmert sich um die Hunde, seinen Leo und ihren Ralfi. Sie bestimmt auch die Musik, legt oft PUR auf, zum Beispiel „Beinah“. Er sagt, dass er es oft allein höre: „Beinah, fast, fast / Beinah hätt’ ich dich verpasst / Beinah, fast / Hätte ich unsere Geschichte verpasst.“
Sie wollen vier Tage bleiben. Wenn er es bis dahin nicht schafft, dann fahren sie heim. Doch gleich am zweiten Tag passiert es: Er erkennt sie auf der Straße, eine zierliche ältere Frau mit einer kleinen, ovalen Brille. Sie sieht aus wie auf dem alten Foto. Er gibt ihr einen Brief. Sie ruft ihn am nächsten Tag zurück und sagt: Lass uns treffen. Montag, 15 Uhr, Haltestelle Bollestraße, Berlin-Tegel.
Am Sonntag, am Tag vor dem Treffen, sitzt Fabian am Gendarmenmarkt. Er ist nicht aufgeregt, eher besonders ruhig. Ist er am Ziel? Ist es vorbei danach, diese Sehnsucht nach dem unbekannten Menschen, dem großen Gefühl? Er hat ein paar Fragen vorbereitet, aber er will nicht mit einem Zettel vor ihr stehen. Lena sagt, er soll es auf sich zukommen lassen. Aber geht das bei einem Ereignis, etwas auf sich zukommen lassen, auf das man sein ganzes Leben gewartet hat? Er kennt ihre Unterschrift, er kennt ihre Stimme, er hat ein Foto von ihr. Er ist ein erwachsener Mann und er ist doch: ihr Kind. Worüber sollen sie bloß reden?
Am Montag, 15 Uhr, kommt sie pünktlich zur Bushaltestelle Bollestraße. Sie steigt vom Fahrrad ab, schließt es an, dann geht sie neben ihm, etwas schneller als er. Sie begrüßen sich mit Handschlag, dann laufen sie los.
Nach nur einer halben Stunde kommen die beiden zurück zur Bushaltestelle. Lena macht ein Foto von den beiden. Dann verabschieden sie sich und umarmen einander. Vielleicht zehn Sekunden, erzählt er später, stehen sie so da. Sie riecht nach einem Parfüm, das er noch nie gerochen hat. Sie weint.
Später wird er sagen, sie habe viel geweint während des Gesprächs. Eigentlich die ganze Zeit. Zwischendurch habe sie viele Fragen gehabt: Wer sind deine Adoptiveltern? Gehst du in die Kirche? Bist du verheiratet? Hast du Kinder? Was arbeitest du? Er erzählt ihr von seinem Job als Pfleger, von seiner Freundin Lena, die eigentlich nicht seine Freundin ist, aber er will, dass seine Mutter weiß: Es geht ihm gut.
Auch er fragt sie: Hast du geheiratet? Hast du Kinder? Was arbeitest du? Und: Wolltest du mich abtreiben? Ihre Antworten sind zurückhaltend. Sie möchte auch kein Bild seiner Familie sehen und ihm keines von seiner Halbschwester zeigen. Aber seine Schwester weiß von ihm. Ihr Ehemann aber wisse nichts von Fabian. Und ja, sie wollte damals abtreiben, aber da sei es zu spät gewesen. Und deshalb wollte sie von einer Brücke springen. Sie erzählt ihm, dass sie bereits auf dem Geländer gesessen habe.
Am Morgen danach sitzt er noch einmal in einem Café in Berlin-Tegel, um ihn herum viele Menschen. Es fühlt sich seltsam an, hier von Selbstmord zu sprechen. Er sagt lächelnd: „Ich habe ihr gestern gesagt: ‚Danke, dass du nicht gesprungen bist damals.‘“ Bei all diesen Themen hat er vergessen, nach Familienkrankheiten zu fragen. Er will sich jetzt erst einmal sammeln und nachdenken.
Lena und er fahren zurück. Sie reden wenig, hören viel Musik. Lena hat gesagt: Deine Mutter sieht dir ähnlich. Kurz danach hat er um Ruhe gebeten, er brauche Zeit für sich. Es tut gut, dass der Abstand zu Berlin mit jeder Minute größer wird. Während draußen alles für Weihnachten geschmückt wird, das große Familienfest, sitzt der Sohn abends nach der Arbeit oft allein zu Hause. Er schaut oft auf das Foto seiner Mutter mit ihm zusammen, es ist das Hintergrundbild seines Smartphones.
Ende November schickt Fabian der Mutter in Berlin noch einmal einen übersetzten Brief. Er bittet sie darin, ihm doch die Holz-Ikone zu schicken. Er hatte sich geärgert, dass er sie ihr vor die Tür gelegt habe. „Ich möchte gerne einen Gegenstand haben, der uns beide verbindet.“ Er bedankt sich noch einmal für das Treffen und schreibt einen Satz, der vielleicht auf Polnisch nicht so ungelenk klingt wie auf Deutsch: „Ich trage Dich in meinem Herzen mit.“ Ein paar Tage später liegt in einem Umschlag die Ikone, er hat sie jetzt immer griffbereit zu Hause auf dem Schrank. Er schreibt ihr zurück, bedankt sich, erzählt mehr von sich. Ihre Antwort Ende Dezember ist kürzer als sonst: „Ich möchte keinen Briefkontakt. Durch das Treffen haben sich viele Fragen geklärt, lass es uns dabei belassen.“
Fabian hatte Lena versprochen, dass Schluss ist nach dem Treffen. Er hat jetzt auch seinen Eltern davon erzählt. Sie hatten es akzeptiert, dass er seine leibliche Mutter suchen musste und freuen sich für ihn. Und seine Sehnsucht? Seit dem Berlin-Besuch geht es ihm damit besser, sagt er. Aber er sagt auch: Das kann doch nicht alles gewesen sein, diese halbe Stunde, an einer Bushaltestelle, am Stadtrand von Berlin.