Der trockene Humor aus Wuhan: Warum Witze über China in Deutschland funktionieren

Moni Zhang (by Sören Kittel)

Moni Zhang hat schlechte Laune, ein Schüler hat sie verprügelt, danach hat ihre Lehrerin ihr gesagt, sie sei hässlich. Dann kommt ihre Mutter nach Hause und erwischt sie beim Fernsehen. „Wenn das noch einmal passiert, schlage ich dich tot“, brüllt die Mutter. Moni ist verzweifelt, niemand liebt sie. Sie überlegt aus dem Fenster zu springen. „Aber wir wohnen im Erdgeschoss.“ Kurz darauf nimmt Moni Zhang ein Küchenmesser in die Hand und verletzt sich am Arm. Sie ist 13 Jahre alt – und wenn sie rund 20 Jahre später in Berlin auf der Bühne von dieser durch und durch furchtbaren Situation erzählt, beendet sie diese mit: „Keine Sorge, das Messer war Made in China, mir ist nichts passiert.“  

Der Vortrag „Child from Wuhan“ ist seit ein paar Monaten online auf YouTube zu sehen. Die 35-Jährige Chinesin Moni Zhang hat zwei Jahre lang diese einstündige Comedy-Show auf verschiedenen Bühnen in Europa aufgeführt, auch beim berühmten Festival Fringe in Edinburgh. Sie erzählt darin auf Englisch von ihrer Kindheit in der 14-Millionen-Stadt, die vor dem Jahr 2020 nur wenige kannten. Danach wissen alle Zuschauer zumindest, dass Wuhan Chinas „Frühstückshauptstadt“ und das dort berühmteste Gericht „ReGanMian“ heißt, das sind scharfe Sesam-Nudeln. Doch immer wieder bringt sie die Zuschauer auch zum Weinen. 

Wie schnell Moni Zhang selbst emotional wird bei Gesprächen über ihr Leben, wird auch am Freitag deutlich, als sie in einem indischen Restaurant in Berlin Friedrichshain sitzt. Sie spricht sehr laut, so dass sich mehrere Restaurant-Gäste nach ihr umdrehen, weniger irritiert als eher interessiert, als wäre sie ein Hollywood-Star, den sie gerade nicht zuordnen können. Dreimal wird sie weinen während des Gesprächs, einmal, als es um ihre Kindheit geht, einmal, als sie vom Tod ihres Vater spricht, und am Ende einmal vor Rührung.

„Ich weine oft auf der Bühne“, sagt sie, „wenn die Atmosphäre dafür richtig ist und das Publikum mitgeht – dann passiert es.“ Dann sei die Aufführung auch ein Teil ihrer Therapie irgendwie. „Ich erinnere mich dann so stark an meine Vergangenheit in China und erlebe alles noch einmal.“ Natürlich sei ihr bewusst, dass andere auch eine schlimme Kindheit haben. Zum Beispiel schaue sie gerade „Love is blind – Germany“ auf Netflix, um ihr Deutsch zu verbessern. „Da gibt es einen Waisenjungen und das ist ja wohl noch schlimmer, als mit einer Mutter aufzuwachsen, die ab und zu böse Dinge sagt.“ Liebe sei eben kompliziert, gerade in Familien. 

Vor zehn Jahren kam Moni Zhang nach Europa, für ein BWL-Studium in den Niederlanden, ihre Mutter hat ihr das ermöglicht – und dann nach Berlin, wo sie endlich ihren Traum verwirklichte und begann, als Stand-Up-Comedian zu arbeiten. Im Gegensatz zu New York oder London ist der Markt für englisch-sprachige Comedy noch recht offen. Sie kann an fast jeden Abend zwei bis drei Auftritte haben und ihre Witze ausprobieren. Das ist zwar finanziell mit viel Selbstausbeutung verbunden, aber sie hat auch schnell Erfolge. Das mag damit zu tun haben, dass ihr Stil auf eine Art radikal ist: Sie spricht recht freizügig über bisexuelle Erlebnisse, über Suizidversuche und eben über ihre schwierigen Familie. 

In ihrer zweiten Show „Asian Daddy, dead“ erzählt sie, warum die letzten Worte ihres Vaters zu ihr „Geh weg, ich habe kein Geld“ waren. Gleich zu Beginn sagt sie, dass sie „traditionell chinesisch“ erzogen wurde: „Das heißt: ganz ohne Selbstbewusstsein.“ Ihr Leben lang habe sie an den Spruch ihres Großvaters denken müssen, der sie einst warnte: „Du sprichst zu laut und zu viel, so findest du nie einen Ehemann.“ Sie habe ihm geantwortet: „Aber Großvater! Ich bin erst fünf Jahre alt, ich hab noch fünf Jahre Zeit, einen Mann zu finden, oder?“ Erst jetzt, seitdem sie in Europa sei, mache sie sich Gedanken über Dinge wie „Glücklich-sein, Redefreiheit und den weiblichen Orgasmus“. 

Solche Witze funktionieren beim Publikum – und immer wieder wird auch klar, dass sie solch eine Show nicht in China machen könnte. Sie war gerade in Schanghai und habe dort gesehen, dass es dort jetzt auch eine englisch-sprachige Szene für Comedians gibt. Aber in China seien Witze anders. Ein chinesischer Witze gehe so: „Wie steckt man einen Elefanten in drei Schritten in den Kühlschrank? – 1.: Kühlschranktür auf, 2.: Elefant rein, 3.: Kühlschranktür zu.“ 

Einen Vorteil haben chinesische Stand-up-Comedian aber in ihrer Heimat: Es gibt noch nicht so viele von ihnen und so landen auch mittelmäßige Auftritte schnell sehr viele Klicks im Internet oder bei sozialen Medien. Der Markt ist einfach für alles: riesig. Aber Moni Zhang möchte lieber weiter in Deutschland leben. „Ich glaube, in China würde meine Witze der Großteil der Bevölkerung nicht verstehen.“ 

Sie hat auch Angst, dass sie harte Kritik bekommt. Schon jetzt sind ihre härtesten Kritiker unter ihren Videos auf Youtube oder Instagram häufig Chinesen. „Du spielst hier nur das Opfer“, schreiben sei dann oder auch Beleidigungen über ihre Größe oder ihre Körperform oder darüber, dass sie nicht verheiratet sei oder kritisieren ihren Lebensstil. Single-Frauen über 27 Jahren heißen umgangssprachlich noch immer „Left over Ladies“. Politische Themen lässt sie ohnehin aus: Witze über Taiwan oder den Präsidenten passen nicht in ihr Programm.

Inzwischen gibt es im englischsprachigen Raum viele asiatische Vorbilder, die mit Comedy erfolgreich wurden. In den USA füllen Ronny Chieng und Ali Wong mit ihren Shows große Hallen und haben eigene Netflix-Specials. Ein Vorbild von Moni Zhang ist die Chinesisch He Huang, die in Australien gerade sehr erfolgreich ist. He Huang beginnt eine ihrer Shows so: „Ich bin He, das ist mein Name, nicht mein Pronomen. Ich bin Made in China. Noch jemand hier im Saal? Niemand? Dann aber sicher die Stühle und Tische – und die Vorhänge wahrscheinlich auch.“

Witze über China sind auch weiterhin Zhangs Markenzeichen und bisher ist sie in Deutschland damit noch sehr besonders. In „Child from Wuhan“ erzählt sie, dass sie ihren Hund „Panda“ genannt hat („Weil ja jeder Chinese einen Panda zuhause hat“), dass chinesische Kinder laut ihrem Großvater nur etwas wert sind, wenn sie männlich sind („Meine Dildosammlung zählt leider nicht, glaubt mir“) und wenn sie dann irgendwann doch einen Witz zu ihrer Heimat („Hust hust“) Wuhan macht, in dem sogar die Kommunistische Partei vorkommt, dann sagt sie danach in Richtung einer chinesischen Gruppe im Publikum: „Das hier war ein Witz, ok? Kann ich nach der Show eure Telefone kontrollieren?“ 

Ihr neuestes Vorbild sind aber deutsche Comedians wie Cindy von Marzahn. Moni Zhangs nächstes Ziel sei, fließend Deutsch zu sprechen. Aktuell hat sie das Niveau C1 erreicht, müsste theoretisch auch dieses Interview auf Deutsch schon führen können. Aber sie spreche noch zu viel Englisch im Alltag, sagt sie, dass solle sich bald ändern, wenn sie an der Uni neue Freunde kennen lernt. Comedy soll weiterhin eine Rolle in ihrem Leben spielen, sie wird auch wieder auf deutschen Bühnen auftreten – dann eben auf Deutsch, der Sprache ihrer neuen „Heimat“. Das Wort sagt sie schon jetzt auf deutsch. 

Sie lässt sich im Restaurant das Essen einpacken. Sie hat kaum etwas gegessen, weil sie die ganze Zeit gesprochen hat. Ganz am Ende hat sie vor Rührung feuchte Augen, als sie vom Besuch ihrer Mutter erzählt, die schließlich so viel geopfert habe, damit es ihrer Tochter einmal besser gehe. Vielleicht ist es nicht so wichtig, dass sie das mit der Comedy-Karriere nie verstanden hat.

„Und das ist die Ironie“, sagt Moni Zhang, „dass meine Mutter, die stark gehbehindert ist, immer arm war, dass sie aber ein glücklicher Mensch mit vielen Freunden ist, während ich in Berlin zwar ein schönes Leben habe, aber mit Depressionen kämpfe und nur einen engen Freund habe und der ist auch noch aus Finnland!“ Aber dann trocknet sie ihre Tränen und sagt grinsend: „Vielleicht habe ich Glück und ein Neo-Nazi schlägt mich zusammen, dann schreib ich einen Bestseller und werde berühmt. So läuft das doch hier, oder?“