Tim Fischer, Porträt

Tim Fischer kann nicht ganz verstehen, wie das jemand nicht verstehen kann: „Das ist doch relativ normal, dass man sich irgendwann mal trennt“, sagt er schnell und winkt mit der Hand ab. „Dinge enden! Das ist furchtbar und gut gleichzeitig. Manche Sachen dauern auch viel zu lang und man denkt dann: ‚Ach, hätte ich den Schnitt doch nur wesentlich früher gemacht.‘ Musste es erst soweit kommen?“

Soviel ist nach dem Spaziergang klar: Tim Fischer ist auch nach 25 Jahren auf der Bühne noch bereit, ganz von vorn zu beginnen, mit Musik, mit Menschen und dem Leben.

Solche Sätze kommen Tim Fischer jedenfalls leicht über die Lippen, sie wirken nicht altklug oder belehrend, sie wirken wie Tatsachen, die er einfach selbst überprüft hat. Steine fallen wirklich nach unten, Herdplatten können echt heiß sein, und ja, Dinge enden eben.

In seinem Fall war es die Freundschaft zu einer Frau, die auch seine Kollegin war. Er hat neun Jahre mit Helga zusammengelebt, sie hat ihn unterstützt, wo es ging. Aber gerade weiß Tim Fischer nicht, wie es Helga eigentlich geht.

Doch bevor wir auf alte Freunde zu sprechen kommen, treffen wir uns vor dem KaDeWe, inmitten von britischen Touristen, die schon um zwei Uhr nachmittags ihr erstes oder zweites Bier in der Hand halten und für eine Currywurst anstehen. Als Tim Fischer über den Wittenbergplatz läuft, schauen sie ihm aus ihren glasigen Augen hinterher, nicht weil er so extravagant gekleidet ist, er trägt eine schwarze Lederjacke und eine etwas glänzende Jeans. Nein, sie schauen ihm sicher hinterher, weil er so eine ansteckende Frische ausstrahlt, gerade an grauen Tagen wie diesen fällt das auf. Seine Augen sind sehr offene Augen, sein Lächeln ist ein sehr breites Lächeln, und es passt, dass er gleich nach seiner Ankunft („Hallo, ich bin Tim Fischer!“) mit einem Drama das Gespräch eröffnet. Keines, das von Trennung erzählt, aber eines, das beinahe unser Zusammentreffen verhindert hätte. Er führt es als kleines Theaterstück auf.

Ort: Taxi, Zeit: vor zehn Minuten.

– Tim so: „Danke, dass Sie gehalten haben! Einmal zum KaDeWe bitte.“

– Taxifahrer so: „Da fahre ich aber nicht lang, ich muss in eine andere Richtung.“

– Tim so: „Aber… aber… ich bezahle… Sie doch… damit Sie…“

– Taxifahrer so: „Nee, tut mir leid, ich muss woanders hin.“

– Tim ab.

Gerade, wer ihn einmal auf der Bühne gesehen hat, kann sich vorstellen, welche Mimik er dazu gemacht hat: Augen zur Decke, Mundwinkel nach unten und ein sehr schmales Gesicht. Der 40 Jahre alte Tim Fischer feiert sein 25. Bühnenjubiläum. Er ist also mit 15 Jahren in eine Welt hineingekommen, die er selbst als „Schlangengrube“ bezeichnet hat.

Er ist in Bars aufgetreten, hat sich als „Schwuchtel“ beschimpfen lassen, vor wenig Publikum gespielt und dann vor einem tosenden Applaus, in Europa, den USA.

Er hat Preise gewonnen, wurde als „Wunderknabe“ bezeichnet, wird das manchmal immer noch, hat Lieder von Zarah Leander, Georg Kreisler und Udo Lindenberg gesungen, mit letzteren beiden auch oft zusammengearbeitet. In dieser Woche standen sie zusammen mit Thomas Keller auf der Bühne im „Tipi im Kanzleramt“ – mit dem neuen Chanson-Programm „Geliebte Lieder“.

Schicksalssinfonie im Ohr

Doch bevor wir über „Geliebte“ und „Lieder“ reden, erklärt Tim Fischer, er würde gern zum Berliner Stand im sechsten Stock des KaDeWe. Dort sei für ihn Berlin ganz bei sich. Auf dem Weg dorthin sagt er wie nebenbei: „Bitte immer rechts von mir gehen, ich bin Hörgeräteträger.“ Und wirklich, ihm ragt ein kleines Kabel aus dem Ohr, man sieht es kaum. Er sagt, es sei sehr gut eingestellt, und die Bedienung kinderleicht. Wenn nach rund einer Woche die Batterie fast leer sei, dann spiele das Gerät leise die 5. Sinfonie von Beethoven: „Tatata-daaa, Tatata-daaa“. Ausgerechnet die Schicksalssinfonie.

Wir setzen uns an die Theke am „Berliner Stand“, und weil wir keine glasigen Augen wie britische Touristen haben wollen, bestellen wir bei der freundlichen Frau kein Bier, sondern zwei Apfelschorle – und ein Steak Tatar. Dann wendet er mir wieder sein rechtes Ohr zu. Nein, er winkt zum ersten Mal ab an diesem Nachmittag, das mit dem Hörgerät sei kein Problem. „Ich habe vor zehn Jahren in Oldenburg im Club Alhambra vor einer Box gestanden und hatte wohl einen Hörsturz“, sagt er, „aber gemerkt habe ich das alles erst nicht so richtig.“ Erst Jahre später meinte ein Arzt bei einem Test, Tim Fischer hätte das Gehör eines 70-Jährigen. Es sei nicht so, dass es eindeutig mit der Lautstärke zu tun habe. „Es fehlen Höhen, die müssen ausgeglichen werden.“

Ein erstes Zeichen dafür, dass die 25 Bühnenjahre auch nicht ganz spurlos an Tim Fischer vorübergegangen sind, auch wenn er jahrelang als „Dorian Gray“ der Sänger bezeichnet wurde, weil sein Gesicht so alterslos war. Er sagt, er hatte mit 20 seinen ersten Entzug von Alkohol. „Ich habe in meinem Leben so viel gesoffen“, sagt er, „das reicht noch für eine ganze Weile.“ Es habe eine Zeit gegeben, da sei er nie nüchtern auf die Bühne gegangen. Manchmal habe er dann Lieder plötzlich doppelt gesungen oder Fehler eingebaut. „Aber die meisten Zuhörer denken doch dann, das müsse so sein.“ Abwinken, weitermachen. Er habe eingeworfen, was ihm angeboten wurde. „Meine Vorbilder waren Zarah Leander und Janis Joplin.“

Heroin? „Nie.“

Ketamin? „Was ist das?“

Und jetzt Sport? „Nee, ich gehe spazieren heute, das ist doch schon etwas.“

Als das rote rohe Fleisch kommt, ist es das klassischste „Tatar“, das man sich vorstellen kann. Das Gericht soll ja von Tataren in der Türkei erfunden worden sein: Das Reitervolk kam auf die Idee, ein Rindersteak während der Reise unter den Sattel zu legen, so dass es auf diese Art ganz weich wurde. Dieses fein zerkleinerte Hack haben die Tataren dann nach einem langen Ritt unter dem Sattel hervorgeholt – und im sechsten Stock des KaDeWe mit Gurke, Zwiebel, Kapern, Ei, Salz und Pfeffer vermengt. So blutiges und rohes Essen ist wahrscheinlich nicht das Gesündeste, was man seinem Körper antun kann, aber Tim Fischer sagt, er achte sonst schon genug auf seine Ernährung.

Seit März kein Alkohol, seit Juli keine Zigaretten

Das heißt: Eigentlich sein Mann, Rolando Jiménez Domínguez, mit dem er seit fünf Jahren in einer eingetragenen Partnerschaft zusammenlebt. Das Fest war trotzdem wie eine richtige Hochzeit, mit Freunden und Blumen und ganz viel Musik. „Rolando macht mir morgens manchmal so einen Haferflockenbrei“, sagt Tim Fischer, der mit richtigem Namen inzwischen Tim Jiménez Domínguez heißt. „Diese eingeweichte Pampe schmeckt mir inzwischen richtig gut und soll gesund sein.“ Er habe nach der Zeit, in der er alles angeworfen habe, was ihm jemand gereicht habe, eben mehr auf sich achten müssen. Seit März kein Alkohol, seit Juli keine Zigaretten. „Das Leben ist eben nicht nur lustig.“

Das ist wieder so ein Satz, der auch irgendwie gut an die Theke hier in den 6.Stock des KaDeWe passt. Das richtig alte Berlin, mit dem Tim Fischer viel anfangen kann, nicht nur, weil er über die Hälfte seines Lebens in diesem Teil der Stadt gewohnt und gesungen hat. Mit 18 Jahren zog er in die Stadt, nachdem er in seiner Heimat Hude die Waldorf-Schule geschmissen, in Hamburg auf der Reeperbahn erst als Stricher und dann als Sänger mit Stricher-Liedern („Die Rinnsteinprinzessin“) sich einen Namen machte. Über diese Zeit will er aber nicht mehr so viel sprechen.

Auch, dass er leicht humpelt, findet er nicht weiter erwähnenswert. „Ja, das kann sein“, sagt er nur knapp. Viel lieber erzählt er über die Narbe am Hals: „Das ist die Erinnerung an meine erste Fahrt mit meinem neuen Rennrad als Kind“, sagt er. „Da bin ich zu schnell gefahren und gegen eine Mauer gefahren, seitlich runtergefallen und in eine kaputte Bierflasche gefallen.“ Aber so wie er das erzählt, verliert auch das irgendwie an Drama. Abwinken, so schlimm war das alles gar nicht. Es geht ja weiter, es ist immer weiter gegangen. Und wenn nicht: „Es gibt für alle Situationen im Leben ein Lied von Georg Kreisler.“ Irgendwie auch beruhigend.

Der Österreicher war eine Inspirationsquelle für Tim Fischer. Böse Lieder über Rentner, die absichtlich Tauben vergiften oder ihre Ehepartner erschlagen bis hin zu „Spielen wir Unfall im Kernkraftreaktor“. Bei den den größten Katastrophen gibt es immer auch etwas zu lachen. Und wer einmal Tim Fischer beim Interpretieren eines seiner Lieder gesehen hat, versteht, dass er genau der richtige Resonanzkörper dafür ist. Doch in den vergangenen Jahren kamen viele Lieder hinzu, die ihn nun begleiten, manche, wie er sagt, sind „lebenslänglich“ dabei: Hildegard Knef, Tom Waits, Rainald Grebe und seit neuestem Peter Plate, sozusagen einem Experten für das Beenden von Dingen: Plate hat nach 23Jahren seine Co-Sängerin AnNa R. und damit die erfolgreiche Band „Rosenstolz“ verlassen.

Getrennt und doch zusammen

Als wir über den Kudamm laufen, vorbei an 125 Jahre alten Bierkneipen („Biersalon“), fast 200 Jahre alten Cafés („Kranzler“) und noch viel älteren Gewerben (Hütchenspielern) sagt Tim Fischer, dass er genug habe von diesen alten Schallplattenhelden, die ihn jahrelang begleitet haben. „Ich fühle mich moderner“, sagt er, „Ich lebe nicht in der Vergangenheit und habe keine musealen Ambitionen.“ Er wolle vielmehr noch einmal wirklich etwas Neues machen. Deshalb hat er in den vergangenen Jahren auch Fernsehrollen angenommen oder in den Kinofilmen „Herr Lehmann“ und „Mein Führer“ mitgespielt. Und deshalb jetzt auch die neuen Lieder mit Peter-Plate-Texten.

Er hat auch den Text zur aktuellen Single von Tim Fischer geschrieben. Sie handelt davon, dass jemand eine Trennung durchlebt hat, so langsam wieder auf die Beine kommt. Ein altes Thema für Tim Fischer, schon sein erstes Album hieß „Wenn die Liebe ausgeht“. Im Jahr 2013 singt er: „Kaffee ersetz ich durch Tee / Vielen Dank, bin ok. / Doch schöner war’s mit dir / Und schlauer bin ich meistens hinterher“.

Trennungen hat er auch schon einige erlebt, zuletzt eben die von seiner Managerin Helga. Schlimm waren für ihn die Todestage von Georg Kreisler und Ludwig Hirsch, die beide im Abstand von zwei Tagen im November 2011 starben. Doch wie Dinge fortleben können, kann man bei ihm auf der Bühne sehen. Mit dem Klavierspieler Rainer Bielfeldt war er vor über 20 Jahren ein Paar und jetzt singen sie noch immer gemeinsam giftige Liebeslieder.

Liebe zu alten Liedern

Als wir das Hotel Bristol Kempinski Berlin erreichen, wieder so ein Ort, der älter als 120 Jahre ist, den Theodor Fontane schon beschrieben hat und indem noch heute Star-Charme versprüht wird, da wird klar, dass alle Dinge, die enden, auch etwas hinterlassen: angefangen bei diesem Spaziergang, über die Beziehungen zu anderen Menschen, zu Zigaretten und Alkohol, genau wie die Liebe zu alten Liedern. Nur wenn die Batterien im Hörgerät wieder einmal die Schicksalssinfonie spielen („Tatata-daaa“), dann werden sie ausgewechselt. Und weiter geht’s. Es ist wohl so: Wer nicht mit Dingen anfängt, der weiß gar nicht, wie das ist, wenn sie enden.

Bevor er sich verabschiedet, soll Tim Fischer noch etwas singen. Er kann sich aussuchen, was. Aus seinem schmalen Gesicht funkeln Augen bühnenreif genervt zur Decke, Mundwinkel sind unten. Seit 25 Jahren einer seiner Markenzeichen-Blicke. Dann reißt er die Augen auf, lächelt wieder und singt mit der warmen Stimme, die am Sonntagabend vielleicht zum letzten Mal jemanden zum Weinen bringt. Er singt fünf Georg-Kreisler-Zeilen, die man immer singen kann, wenn irgendwo geschwiegen wird, obwohl Dinge ausgesprochen werden sollten:

„Warum sind die Leute so feige / und befreien sich nicht aus der Not / es sterben die blühenden Zweige / und das Leben geht immer zur Neige / doch sie schweigen sich durch bis zum Tod.“

 

Erschienen in der Berliner Morgenpost, 13.10.2013