Berlin. Zu dritt saßen sie oft in dem Café an der Katzbachstraße in Kreuzberg: Arafat Abou–Chaker, Hamoudi Wasserkopf und Anis Ferchichi, der vielen als Rapper Bushido bekannt ist. Der 41-Jährige hat auch am sechsten Verhandlungstag am Landgericht in Moabit das Wort und erzählt auf Nachfrage, wie die Geldübergaben ab dem Jahr 2004 im Einzelnen stattgefunden haben. „Wir redeten über Frauen, Gerüchte und das LKA“, sagt er, „vielleicht war es mal wieder zu einer Razzia gekommen.“ So war das eben in einem Café, das inzwischen längst geschlossen ist und damals Arafats Bruder Nasser Abou-Chaker gehörte. In Richtung Vorsitzendem Richter Martin Mrosk sagt Bushido: „Sie müssen entschuldigen, der Umgangston war nicht so, wie er hier herrscht.“
Aber genau das ist das Interessante an seinen detailreichen Aussagen im Saal 500 der Großen Strafkammer. Die Öffentlichkeit blickt wie mit einer Taschenlampe in eine Halbwelt, die seit Jahrzehnten Berlin im Griff hat. Genau deshalb ist das Verfahren gegen den 44 Jahre alten Clanchef Arafat Abou-Chaker, der offenbar über 14 Jahre lang Geld von Bushido erhalten hat, so wichtig. Mitangeklagt sind die Brüder Yasser, Rommel und Nasser, die 39, 42 und 49 Jahre alt sind. Der Jüngste sitzt seinen Brüdern in einer Sicherheitskabine gegenüber, er ist in Untersuchungshaft. Die Anklage gegen alle vier lautet auf versuchte schwere räuberische Erpressung, Freiheitsberaubung, Nötigung, Beleidigung und Untreue.
Eine Verurteilung könnte mehrere Jahre Haft für die Angeklagten bedeuten, die zu einer der wichtigsten arabischen Großfamilien in Berlin gehören. Nach Schätzungen der Polizei hat die Familie zwischen 200 und 300 Mitglieder in Berlin, von denen einige ihr Geld unter anderem mit Schutzgeld, Raubüberfällen, Drogen- und Waffenhandel verdienen. Bushido hatte sich nach eigener Aussage in diesem Verfahren 2004 mit Clanchef Arafat eingelassen, um aus dem Vertrag mit einem Musiklabel herauszukommen – und musste danach 30 Prozent des Bruttoeinkommens an die Abou-Chakers zahlen. Insgesamt geht es um die Summe von neun Millionen Euro.
Doch wie Bushido am Montag im Landgericht deutlich machte, war es damit nicht genug. „Erst vergangenen Freitag habe ich herausgefunden“, sagt der Zeuge, „dass Arafat Abou-Chaker auch für den Fall einer Trennung bereits vorgesorgt hatte.“ Demnach existiere ein Vertrag, den Abou-Chaker „mit sich selbst aufgesetzt habe“ und der die Rechte an Bushidos Werk komplett auf ihn übergehen ließe. „Selbst das Erbe meiner Kinder sollte laut diesem Schreiben“, so Bushido, „an die Abou-Chakers gehen.“ Autorisiert habe Arafat das Schreiben mit der Generalvollmacht, die Bushido ihm einst im Dezember 2010 ausgestellt habe – jedoch bezogen auf einen Immobiliendeal.
Die Anwälte machten in der Sitzungspause deutlich, dass ein solcher Vertrag rechtlich wohl wertlos sei – abgesehen davon, dass er ohnehin sittenwidrig sei und offenbar auch erst nach dem Jahr 2017 aufgesetzt und rückwirkend umdatiert. Aber genau darum geht es schließlich im ganzen Prozess: Auch die jahrelangen Zahlungen an Arafat Abou-Chaker hätten vor Gericht nicht eingeklagt werden können. Aber wenn die Geldübergabe in einem Café in Kreuzberg erfolgt, wenn sie in Immobiliendeals verschwinden, wenn der Clanchef sogar einen offiziellen Managervertrag vorgelegt bekommt, wird es eben kompliziert.
Der Grund, warum Bushido im Jahr 2017 das alles auffliegen ließ, liegt am Ende darin, dass er sich fühlte, als sei er ein Leibeigener – und auch so behandelt wurde. Als er aus dem Deal ausbrechen wollte, drohten die Brüder ihm und seiner Familie, sperrten ihn laut Anklageschrift ein und verletzten ihn zudem. Bushido tritt als Nebenkläger auf und am Montag konnten Richter und Anwälte Nachfragen zu den Ausführungen des Rappers stellen.
Sie beleuchten die Beziehung von Arafat zu Bushidos Mutter („sehr eng“), zum Namen Hamoudi Wasserkopf („alle nannten den so“) und warum er nicht mehr mit dem Musiker Danny Bokelmann befreundet ist. Dazu sagt Bushido: „Wir hatten keinen Streit, aber ich möchte mit Personen, die Arafat noch kennen, nichts zu tun haben.“ Besonders Arafats Anwalt Hansgeorg Birkhoff stellt mehrfach Fragen und betont dabei oft, dass er schon viele Jahre am Gericht arbeite – und ergo an vielen Aussagen zweifele. „Das ist mir alles etwas farblos“, sagt er etwa zu Bushidos Aussagen zu seinen Schöneberger Freunden, „ich glaube Ihnen nicht.“ Bushido lässt sich von solchen Aussagen wiederum nicht einschüchtern und beschreibt in der Folge einzeln, wie sich die Gruppe der „Schöneberger Jungs“, die lange seine Freunde waren, zusammensetzte.
Während Bushido erzählt, stützt er sich immer mit beiden Oberarmen auf dem Tisch auf. Das lässt seinen Oberkörper noch massiger wirken. Zwischendurch dehnt er während seiner Aussage seine Arme und zeigt dabei die Tattoos: „Ghetto“ und „Berlin“ auf dem linken Unterarm. Das „Elektro“ auf dem rechten ist kaum noch zu lesen, weil es seit Neuestem von Blumen umrahmt wird. Bushido will die Veränderung auch am Körper deutlich machen, wie er auf Instagram berichtete. Es wird deutlich, wie sehr er sich um eine Hochsprache für das Gericht bemüht, nur manchmal rutscht ihm ein „Schreibdingsbums“ oder „Gedöns“ heraus. Einmal ist er kaum zu verstehen, weil draußen auf der Straße unterhalb der Fenster ein offenbar Verwirrter sehr laut kreischt. Im Gerichtssaal ist niemand beeindruckt.
Die Verhandlung wird am Mittwoch fortgesetzt. Der Vorsitzende Richter nannte den Termin schon jetzt „die Verlesung“, weil am Ende des Prozesstages Passagen aus Bushidos Autobiografie mit dessen Aussagen verglichen wurden. Dabei wird immer wieder klar, dass dieses Buch aus dem Jahr 2008 auch dazu diente, Bushidos Image als Gangsterrapper, der sich nichts gefallen lässt, zu untermauern. Schlägereien bei einem McDonald’s in Saarbrücken mit seinen Kumpels, die Namen wie Gino Casino tragen, gehörten damals dazu. Aber wie heißt der Film über Bushidos Leben, der sicherlich ebenfalls noch Teil des Prozesses werden wird: Zeiten ändern dich.
Erschienen in der Berliner Morgenpost am 7.9.2020.