Champagner-Probleme in West-Berlin: Kai Wegners erster Bürgerdialog

Kai Wegner beim Bürgerdialog

Nur wenige Sekunden später und die Buhrufe wären live im Fernsehen gewesen. Die drei Frauen rufen Buh um genau 19.30 Uhr, als die Live-Reporterin der „Abendschau“ sich hinten im Saal des Maison de France vorbereitet auf ihren Bericht. Die Kamera ist direkt auf die rund 150 Gäste gerichtet, die zum ersten Bürgerdialog des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner nach Charlottenburg-Wilmersdorf gekommen sind. Doch als die RBB-Reporterin zu sprechen beginnt, ist die Stimmung schon wieder recht „ruhig und gediegen“, so nennt sie es in ihrem Bericht.

Und so bleibt es im Grunde auch die ganze Zeit an diesem Abend. Kai Wegner spricht etwa zwei Stunden über Themen wie Bauen, Verkehr, Bildung und Verwaltungsreform und bekommt immer wieder verhaltenen Applaus, aber kaum Gegenwind. Es ist ein Heimspiel für den 51 Jahre alten Mann, der vor zehn Monaten das Amt im Roten Rathaus angetreten hat. Fast könnten Zuhörer den Eindruck gewinnen, die Bürger in Charlottenburg-Wilmersdorf hätten nur sogenannte Champagner-Probleme.

Unter welchem Feuer er und die Stadt gerade thematisch stehen, macht er deutlich, als er gleich zu Beginn das Thema Berlinale anspricht: „Da muss man sich gar nichts vormachen“, sagt er, „die Berlinale hat schweren Schaden genommen.“ Die Stadt müsse sicherstellen, dass Hass, Hetze und Israelfeindlichkeit so eine Preisverleihung nicht dominieren. „Diese Bilder und die Töne will ich nicht aus Berlin hören oder sehen, das gehört nicht zu Berlin und das passt nicht zu Berlin.“

Am Sonnabend war auch Wegner im Publikum, als im Berlinale-Palast die Preise verteilt wurden und mehrere Preisträger und Jury-Mitglieder die Bühne nutzten, um Israel Völkermord vorzuwerfen, ohne den Angriff der Hamas zu erwähnen oder die Geiseln. Doch bis auf diese kurze Ausnahme zu Beginn des Bürgerdialogs wird es ausschließlich um lokale Probleme gehen. Eines der großen Themen, das die Bürger interessiert, ist der Schlangenbader Tunnel, den Wegner auf jeden Fall sanieren möchte, nachdem Städtebauer darüber nachgedacht hatten, ihn abzureißen.

Doch bei diesem Dialog wird deutlich, viele Bürger warten darauf, dass er endlich wieder in Betrieb genommen wird und die Wohngebiete vom Durchgangsverkehr entlastet werden. Wegner aber liegen solche hyperlokalen Themen, das merken die Zuschauer. Er spricht gern über Umbauarbeiten an der Kantstraße, Baupläne rund um das Denkmal Gleis 17 und die Tangentialverbindung Ost, die er – ganz Insider – als TVO abkürzt. Meist kennt er die Probleme, die angesprochen werden, und wenn nicht, dann entgegnet er: „Das nehme ich mir heute noch einmal mit“ oder „Da will ich ran!“

Das sind zwar die üblichen Sätze, die man so hört von Politikern auf Bürgerdialogen, aber sie funktionieren hier in Charlottenburg sehr gut. Der Applaus ist nie frenetisch, aber er ist immer wieder da. Der Saal ist nicht komplett voll, aber auch nicht so leer, dass es peinlich ist. Bis auf die kurzen Buhrufe in der Mitte bleibt es zudem bis zum Ende auch zivil, was sicher mit der locker-strengen (sie kann das gleichzeitig) Moderation von Wegners Sprecherin Christine Richter zu tun hat.

In der zweiten Hälfte wird es manchmal unfreiwillig komisch, weil sich einige der anwesenden Kreuzberger und Neuköllner doch wundern müssen, was Charlottenburger alles mit dem Regierenden Bürgermeister bereden wollen: „Was tun Sie, damit die Kinder mehr Französisch lernen?“ – „Manche Autos parken an den Straßenecken und bekommen keine Strafzettel!“ – „Manchmal liegen jetzt noch Weihnachtsbäume herum, es ist Februar!“

Vielleicht hat sich deshalb der Regierende zuerst in diesen Bezirk gewagt, weil er wusste, dass er freundlicher empfangen wird als sein sächsischer Parteikollege Michael Kretschmer in irgendeinem seiner Bürgerdialoge, die häufig in Beschimpfungen geendet sind. Doch AfD-nahe Themen wie Einwanderung, Clan-Kriminalität oder Russland stehen an diesem Abend am Kudamm nicht auf der Agenda. Als Nächstes will Kai Wegner übrigens am 15. April um 17 Uhr im Bezirk Treptow-Köpenick mit Bürgern in den Dialog treten.

Sicherlich werden da andere Themen besprochen als in Charlottenburg. Die Buhrufer werden dann vielleicht wiederkommen. Eine von ihnen ist Grit Bürgow aus Pankow. Zusammen mit vier Freunden ist sie gekommen, um ihre Bürgerinitiative Grüner Kiez Pankow vorzustellen. „Seine Partei ist doch schließlich dafür angetreten“, sagt Bürgow, „dass sie die grünen Berliner Hinterhöfe erhalten will“. Bürgow kämpfe dafür, dass für neue Gebäude nicht noch mehr alte Bäume gefällt werden müssen. Und das war der Grund für ihren Unmut: Wegner will die A100-Verlängerung, auch wenn dafür Bäume gefällt werden.

Doch selbst mit Grit Bürgow steht Kai Wegner nach dem Ende des Bürgerdialogs noch länger zusammen und redet freundlich. Er wirkt in solchen Momenten sehr zugänglich, als wären die Bodyguards und das große Presseteam nicht immer um ihn herum. Bei so viel Nähe war es fast überraschend, dass niemand ihn nach seiner privaten Beziehung zur Bildungssenatorin gefragt hat, zumindest wäre dafür die letzte offene Fragerunde „ohne thematischen Bezug“ gut gewesen.

So aber bleibt es für alle Beteiligten ein höflicher Abend auf dem Kudamm, bei dem Wegner für die Sanierung der bestehenden Radwege („wichtiger als neue Radwege“), für die Randbebauung des Tempelhofer Felds („wir brauchen eine Stadtdebatte“) und schließlich für saubere U-Bahnhöfe wirbt. Messen lassen, das betonte er mehrfach, wolle er sich am Erfolg der Verwaltungsreform. Kai Wegner: „Da will ich rein.“ Seine Sprecherin: „Sie dürfen jetzt gern klatschen.“